Marlene Suson 3
dann, wenn kein anderer sie auffordert. Lord Morgan weiß schließlich, was sich gehört.“
Daniela spürte, wie ihre Wangen vor Scham brannten. War das wirklich der einzige Grund, weshalb er mit ihr getanzt hatte? Weil kein anderer es getan hatte?
Sie sehnte sich verzweifelt danach, diesem stickigen Morgen- zimmer und der Gesellschaft der beiden Frauen entfliehen zu können.
Wenn sie sich doch nur für einen kleinen Ritt fortstehlen könnte, bevor sie sich zum Essen umziehen mußte, doch dafür reichte die Zeit nicht. Dann wollte sie aber wenigstens noch einen kurzen Spaziergang durch den Garten machen.
Daniela ging um die Hausecke und betrat die sorgfältig gepflegte Gartenanlage an der Westseite des Herrenhauses. Eilig lief sie einen Kiesweg entlang, der zwischen symmetrisch angelegten Blumenbeeten hindurchführte, die abwechselnd mit weißen und blauen Stiefmütterchen bepflanzt waren.
Sie kam an einer Sonnenuhr vorbei, deren obeliskartiger Stab über drei Meter aufragte und sich genau in der Mitte des Gartens befand.
Daniela hatte ihr Ziel, eine Steinbank hinter einer Buchs- baumhecke, schon fast erreicht, als sie die ihr schon vertraute Männerstimme hinter sich hörte: „Lady Daniela!“
Erschrocken fuhr sie herum und hätte beinahe das Gleichge- wicht verloren. Ihr Herz machte einen Satz, als sie Lord Morgan Parnell erkannte. Kein Mann hatte das Recht, so unverschämt gut auszusehen! Mit langen Schritten kam er auf sie zu. Ihr Herz klopfte schneller, und eine seltsame Wärme stieg in ihr auf.
Daniela war so überrascht und verwirrt, daß sie stolperte und mit der Fußspitze in ihrem Unterkleid hängenblieb. Geistesge- genwärtig griff Lord Morgan zu und bewahrte sie vor einem Fall. Als sie seine Hände auf ihren Armen spürte, durchfuhr es sie siedend heiß.
Himmel, es war gefährlich, mit diesem Mann allein zu sein. Zum einen übte er eine äußerst beunruhigende Wirkung auf sie aus, und zum anderen bestand noch immer die Möglichkeit, daß er in ihr den Straßenräuber erkannte.
Er ließ Daniela los und trat einen Schritt zurück. Sein Blick glitt langsam an ihrem Körper hinab. Es war ein Blick, unter dem ihr heiß und kalt wurde.
„Ich fürchte, Sie haben Ihr Unterkleid zerrissen.“
Daniela schaute hinab und mußte beschämt feststellen, daß ihr Rocksaum aufgerissen war. Im stillen verwünschte sie ihre Ungeschicklichkeit.
„Lady Daniela.“
Sie schaute auf, betroffen über den sonderbaren Unterton in seiner Stimme. Seine blauen Augen wirkten plötzlich ernst und durchdringend.
„Ich wollte allein mit Ihnen sprechen, und zwar über Ihr Eigentum, das sich noch in meinem Besitz befindet.“
Danielas Herz sank. Sie mußte alle Kraft zusammennehmen, damit ihre Stimme nicht zitterte. „Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.“
Das war natürlich gelogen, und seine nächsten Worte bestä- tigten ihre schlimmsten Befürchtungen.
„Es geht um Ihre Pistolen, Lady Jack.“
Er hatte sie also doch erkannt! Wie gehetzt schaute Daniela sich um, ob auch niemand in der Nähe war und ihr Gespräch belauschte. Zum Glück waren sie ganz allein im Garten.
Sie mußte versuchen, sich herauszureden. „Aber, Mylord, wessen beschuldigen Sie mich da?“
„Ich beschuldige Sie überhaupt nicht, Lady Daniela.“ Ein be- lustigter Unterton hatte sich in seine Stimme geschlichen. „Ich will Sie nur daran erinnern, daß ich noch die Pistolen habe, mit denen Sie mich bei dem Überfall bedrohten.“
Mit gespieltem Entsetzen riß sie die Augen auf. Hoffent- lich wirkte sie überzeugend in ihrer Rolle als Unschuld vom Lande! „Ich? Sie überfallen? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!“
„Haben Sie wirklich geglaubt, ich hätte Sie gestern abend nicht sofort erkannt?“
Dann hatte er also nur mit ihr gespielt. Sie hätte sich gleich denken können, daß sie ihm nichts vormachen konnte. Doch sie würde lieber sterben, als ein Geständnis abzulegen. Genauge- nommen würde sie sterben, wenn sie tatsächlich ein Geständnis ablegte. „Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wovon Sie eigentlich reden.“
Morgan lachte. „Dann will ich Ihr Gedächtnis ein bißchen auffrischen.“
Mit festem Griff legte er die Hände um ihr Gesicht. Danielas Herz klopfte wie wild. Sie wußte, daß sie sich losmachen und ihm entziehen müßte, aber sie wollte, daß er sie wieder küßte. Wann immer sie an den Kuß auf der nächtlichen Landstraße dachte, packte sie eine wilde Erregung, und sie träumte von einer Wie-
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