Marlene Suson 3
gespannt war. Wenn sie doch nur als Junge auf die Welt gekommen wäre! Auf dem Pferderücken stellte sie sich sehr viel geschickter an als auf dem Tanzparkett.
Mißmutig betrachtete sie die ungleichmäßigen Stiche, die sie gerade fabriziert hatte, und kam zu dem Schluß, daß sie als Frau nun wirklich kein Volltreffer war. Sie konnte nicht handarbeiten, langweilte sich bei seichtem Geplauder, und in den mondänen Salons war sie fehl am Platz. Mode und Klatsch, die bevorzugten Themen anderer Frauen, ödeten sie an.
„Wie ist es Basil nur gelungen, Lord Morgan Parnell nach Greenmont zu locken?“ fragte Martha. Sie war guter Hoffnung, und ihr einst schlanker Körper war dick und schwerfällig ge- worden. Sie rückte rastlos auf ihrem Stuhl hin und her, um eine bequemere Sitzposition zu finden. „Es ist ein großer gesell- schaftlicher Erfolg für Basil, den Bruder des Duke of Westleigh in seinem Haus begrüßen zu dürfen.“
„Ich glaube, Basil war genauso überrascht wie alle anderen, als
Lord Morgan die Einladung annahm.“ Wenn Daniela an die An- tipathie dachte, die Lord Morgan offensichtlich für Basil hegte, konnte sie beim besten Willen nicht begreifen, weshalb er nach Greenmont gekommen war. Er mußte noch einen anderen Grund haben, aber welchen?
Martha schaute an Daniela vorbei zur Tür, und die sanften Linien ihres Gesichts verhärteten sich.
Daniela wandte den Kopf und sah Lady Elizabeth San- ders hereinschweben. Sie trug ein blaues Seidenkleid, das ih- ren schmalen, grazilen Körper vorteilhaft zur Geltung brachte. Ihre goldblonden Locken waren zu einer exquisiten Frisur aufgetürmt.
Daniela schaute hinab auf ihr graues Kleid, das schon ein paar Jahre alt und hoffnungslos aus der Mode war. Neben dieser Symphonie in Blau fühlte sie sich wie ein Aschenputtel.
„Ich dachte, Sie wollten heute wieder abreisen“, sagte Martha nicht eben freundlich.
Elizabeths Gesicht erhellte ein Grübchenlächeln, das Daniela mit Verzweiflung erfüllte. Wie könnte Lord Morgan – oder über- haupt ein Mann – diesem Lächeln widerstehen? Nicht, daß es ihr etwas ausmachte ...
„Basil ist wirklich ein Schatz. Er hat mich aufgefordert, so lange zu bleiben, wie ich möchte.“
„Und wie lange wird das sein?“ Marthas scharfe Stimme verriet, wie wenig erbaut sie von der Vorstellung war.
„Das wird sich finden“, erklärte Elizabeth sonnig.
Man sah Martha an, wie sehr diese Antwort sie ärgerte. Be- vor Elizabeth geheiratet hatte, war William Enright einer ih- rer glühendsten Verehrer gewesen. Man erzählte sich, daß es ihm fast das Herz gebrochen hätte, als Elizabeth einen anderen wählte. Das war drei Jahre vor seiner Eheschließung mit Mar- tha gewesen, doch Daniela wußte um die Befürchtungen ihrer Cousine, daß William im stillen noch immer eine Schwäche für seine große Liebe hegte. Natürlich nahm Martha sich in ihrem jetzigen unförmigen Zustand neben der hinreißenden Elizabeth auch nicht gerade vorteilhaft aus. Daniela empfand Mitleid mit ihrer Cousine. Martha liebte ihren Mann sehr, der ihre Gefühle jedoch nicht zu erwidern schien.
Lady Elizabeth, die an Daniela noch nie zuvor die gering- ste Aufmerksamkeit verschwendet hatte, überraschte sie jetzt, indem sie sich neben sie setzte.
„Vielleicht sollte ich lieber Lord Morgan Parnell fragen, wie lange er bleibt“, bemerkte Martha spitz. „Dann wüßten wir sofort, wie lange Ihr Aufenthalt noch dauern wird.“
Elizabeth lächelte. „Es ist ja kein Geheimnis, daß Lord Mor- gan und ich demnächst unsere Verlobung bekanntgeben wollen.“ Obwohl die Worte an Martha gerichtet waren, ließ Elizabeth Daniela nicht aus den Augen.
Danielas Herz zog sich vor Schmerz zusammen. Traurig dachte sie an das strahlende Lächeln, mit dem Morgan Elizabeth auf dem Ball begrüßt hatte. Was für ein schönes Paar die beiden ab- gegeben hatten, als sie sich unterhielten. Zum Kuckuck, was war nur los mit ihr? Ein so attraktiver Mann wie Lord Morgan würde doch nie im Leben auf die Idee kommen, mit einer reizlosen alten Jungfer wie ihr mehr als ein flüchtiges Amüsement anzustreben.
„Gestern abend schien Lord Morgan aber weit mehr an mei- ner Cousine interessiert zu sein als an Ihnen“, flötete Martha honigsüß. „Immerhin hat er zweimal mit Daniela getanzt.“
Elizabeth lächelte wie ein Engel. „Lord Morgan ist nun einmal die Freundlichkeit in Person. Es ist doch selbstverständlich, daß er mit der Schwester seines Gastgebers tanzt, besonders
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