Marlene Suson 3
derholung. Bis zu jenem Augenblick hätte sie nie geglaubt, daß sie den Kuß eines Mannes genießen könnte.
Sein Mund war sanft und zärtlich, und der Kuß war genauso schön und erregend wie der erste. Daniela spürte Morgans Arme um sich, stark und warm. Sie vergaß alles um sich herum und verlor sich ganz in diesem Kuß und der Umarmung.
Als Morgan sie schließlich losließ, hätte sie fast protestiert. Er sah sie an, und sie entdeckte in seinen Augen ein übermütiges Funkeln und noch etwas, das sie nicht enträtseln konnte.
„Erinnern Sie sich jetzt?“ fragte er schmunzelnd.
Und ob sie das tat! Nur zugeben durfte sie es natürlich nicht. „Ich weiß wirklich nicht, was Sie meinen.“ Sie erstickte fast an dieser Lüge.
Er lachte wieder, ein tiefes, sonores Lachen, das ihr Herz flattern ließ. „Wie verbohrt Sie doch sind. Dabei geht es um ein Paar ausgesprochen schöner und wertvoller Pistolen. Ich bin gern bereit, sie Ihnen zurückzugeben, doch erst müssen Sie mir verraten, weshalb Sie als Gentleman Jack aufgetreten
sind. Und außerdem müssen Sie versprechen, es nie wieder zu tun.“
Daniela probierte es mit indignierter Entrüstung. „Mylord, sehe ich etwa aus wie ein Straßenräuber, der als Gentleman Jack durchgehen könnte?“
Er hob die Hand und schob ihr eine lose Haarsträhne hinters Ohr. Seine Berührung ließ sie erschauern.
„Sie sind der weibliche Gentleman Jack, der versucht hat, meine Kutsche zu überfallen.“
Daniela wagte nicht, es zuzugeben. „Und ich sage Ihnen, Sie sind verrückt.“
„Wie Sie wünschen, meine Räuber-Lady.“ Er wies auf die Steinbank hinter der Buchsbaumhecke. „Ich denke, dies war ursprünglich Ihr Ziel. Bitte, nehmen Sie doch Platz.“
Da ihr so schnell keine Ausrede einfiel, setzte Daniela sich auf die Bank. Der Stein fühlte sich unter ihren bebenden Fingern kühl und glatt an.
Morgan setzte sich neben sie, viel zu nah für ihren Seelenfrie- den. Daniela fühlte sich jämmerlich. Sie schämte sich wegen ih- res einfachen, altmodischen Kleides mit dem abgerissenen Saum, der über den Boden schleifte. Verstohlen versuchte sie, ihn mit der Schuhspitze unsichtbar zu machen.
Morgan lächelte ihr zu. „Wenn Sie versprechen, nicht mehr als Gentleman Jack aufzutreten, gebe ich Ihnen Ihre Pistolen zurück. Aber erst dann.“
Was sollte Daniela tun? Sie brauchte ihre Waffen, wenn sie ihre heimlichen Aktivitäten fortsetzen wollte. Doch was würde Morgan mit ihr machen, wenn sie alles zugab? Würde er sie anzeigen? Oder es nur Basil erzählen?
Und was konnte Morgan schon tun, wenn sie alles abstritt? Hätte er beabsichtigt, sie vor aller Öffentlichkeit anzuklagen, dann hätte er es längst getan. Was sonst könnte er tun, außer Greenmont in zwei Wochen wieder zu verlassen und ihre Pistolen mitzunehmen?
In der Zwischenzeit würde sie schon herausfinden, wo er sie versteckte, und sie wieder an sich bringen.
„Sehe ich da etwa ein verdächtiges Aufblitzen in Ihren Augen?“ fragte er argwöhnisch.
Verflixt noch mal! Entging seinem Scharfblick denn gar nichts? „Ich ... hm ... habe mich gefragt, was Sie eigentlich gegen Sir Waldo Fletcher haben.“
Bei der Erwähnung dieses Namens wurden seine blauen Au- gen hart wie Stein. „Ich habe guten Grund dazu, doch das dürfte Sie kaum interessieren. Weshalb lehnen Sie ihn denn ab?“
„Merkt man das so deutlich?“
Sein spitzbübisches Grinsen ließ sie erbeben. „Ich fürchte, ja.“
„Es ist eine Schande, wie er seine Grubenarbeiter und ihre Fa- milien behandelt. Wenn Sie sehen könnten ...“ Daniela brach ab. Der Bruder eines Herzogs, noch dazu ein berüchtigter Frauen- held, würde sich wohl kaum für das Elend dieser unglücklichen Menschen interessieren.
„Wenn ich was sehen könnte?“ fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. „Es würde Sie nicht kümmern.“
„Worum geht es? Fällen Sie kein Urteil, bevor Sie meine Meinung nicht kennen. Sie könnten überrascht sein.“
Schon möglich, doch Daniela bezweifelte es. „Es geht um die erbärmlichen und gefährlichen Bedingungen, unter denen Sir Waldos Arbeiter von morgens bis abends schuften müssen. Dabei verdienen sie kaum genug, um ihre Familien ernähren zu kön- nen. Inzwischen verpraßt er die Früchte ihrer Arbeit, indem er sich mit kostspieligen Kleidern und Schmuck behängt und ein großes Haus führt.“
„Das überrascht mich nicht. In seinen Kohlengruben in York- shire herrschten genau dieselben Zustände. Deshalb hat mein
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