Marlene Suson 3
das?“
Morgan wollte sie nicht belügen, aber die ganze Wahrheit konnte er ihr auch nicht sagen. Deshalb wählte er seine Worte sehr sorgfältig. „Mein Bruder und ich hielten uns gerade in Yorkshire auf, als es geschah. Meine Schwägerin Rachel, die sich auf die Kräutermedizin versteht, wurde heimlich zu Gentleman Jack gerufen, um ihn zu behandeln.“
„Ist sie hingegangen?“
„Ja, sie hat ihm das Leben gerettet.“
„Gott segne sie dafür“, sagte Daniela inbrünstig. „Sind Sie ihm begegnet?“
„Rachel hat niemandem verraten, wo er sich versteckt hielt. Weshalb nehmen Sie soviel Anteil an Gentleman Jacks Schick- sal?“
„Ich bewundere ihn grenzenlos. Und ich bewundere auch den untrüglichen Instinkt, mit dem er die skrupellosen Geldsäcke herauspickte, und wie er seine Beute dann unter den Menschen verteilte, die es am nötigsten brauchten.“ Ihre fast ehrfürchtige Stimme verriet Morgan, daß Gentleman Jack Danielas Held war. „Man erzählt sich, daß er nichts von dem erbeuteten Geld für sich behalten hat. Ist das wahr?“
„Woher soll ich das wissen?“
„Ich dachte, vielleicht hat Rachel ...“
Daniela unterbrach sich mitten im Satz, weil sie draußen auf dem Flur Frauenstimmen hörte. Sie lauschte einen Augenblick, bis die Stimmen sich entfernt hatten. „Das waren sicher die Zimmermädchen.“
„Sie können nicht hierbleiben.“ Es überraschte Morgan, wie sehr er sich wünschte, daß sie noch blieb. Es brachte ihn völlig aus der Fassung, welche Anziehungskraft sie auf ihn ausübte. Zugegeben, sie war eine bemerkenswerte Frau, couragiert und geistreich, doch eigentlich zog er schöne, willige Frauen vor, die nicht so widerborstig waren wie Daniela. Und nicht zu vergessen, sie war ja auch noch ein verkappter Straßenräuber.
Und doch ... nach diesem Ringkampf auf dem Bett sehnte sein Körper sich fast schmerzhaft nach ihr. Widerwillig half er ihr hoch.
Während er sie durch das dunkle Zimmer zur Tür führte, zog er den Schlüssel aus der Hosentasche. Er schloß auf und sagte: „Lassen Sie mich erst hinaussehen, ob die Luft rein ist. Es wäre fatal, wenn man Sie aus meinem Zimmer kommen sähe. Ihr guter Ruf wäre für immer dahin.“
„Das ist er schon“, sagte Daniela bitter, als er die Tür öffnete. „Dies würde nur bestätigen, was ohnehin jeder von mir denkt.“
Das Licht der Kerzen im Flur fiel auf ihr schmerzlich verzo- genes Gesicht. Am liebsten hätte Morgan sie in die Arme genom- men und getröstet. Doch er hielt sich zurück und sagte schärfer, als er eigentlich beabsichtigt hatte: „Dann stimmt es also nicht, daß Rigsby Ihnen die Unschuld geraubt hat?“
Sie senkte den Blick. „O doch, es stimmt“, sagte sie bedrückt.
Ihr Geständnis traf Morgan wie ein Schlag. Wilder Zorn bran- dete in ihm auf. So, wie er Daniela kennengelernt hatte, war er davon überzeugt gewesen, daß die Gerüchte über ihre Vergan- genheit erlogen waren. Doch nun hatte sie sie selbst bestätigt. Wie hatte sie nur so etwas tun können? Und ausgerechnet mit diesem unmöglichen Rigsby!
Morgan schaute hinaus auf den Korridor. „Niemand da.“ Seine Stimme klang plötzlich ausgesprochen reserviert. „Vergessen Sie nicht, wenn Sie Ihr verrücktes Treiben aufgeben, bekommen Sie Ihre Pistolen zurück. Und jetzt gehen Sie, rasch.“
Morgan schaute Daniela nach, bis sie ihr Zimmer erreicht hatte. Sein männlicher Stolz war schwer angeschlagen. Wie war es nur möglich, daß Daniela sich mit einem solchen Unhold wie Rigsby einließ, ihn dagegen zurückwies?
6. KAPITEL
Morgan hatte sich zum Reiten umgezogen und war auf dem Weg zum Stall. Er hatte schlecht geschlafen. Immer wieder war er aufgewacht, weil ihn die Erinnerung an Danielas aufreizenden Körper quälte. Der Wunsch, sie wieder in sein Bett zu holen, war schier übermächtig gewesen.
Jetzt wollte er sich mit Ferris treffen, um sich mit ihm zu- sammen die Umgebung näher anzusehen. Als er am Rosengarten vorbeikam, bemerkte er aus dem Augenwinkel jemand in Grün auf der Bank unter dem Spalier. Er sah näher hin und entdeckte Daniela. Sie war so vertieft in ein ledergebundenes Buch, daß sie nicht merkte, wie er näher trat. „Lady Daniela!“
Erschrocken hob sie den Kopf. Sie hatten sich seit ihrer Begeg- nung in seinem Zimmer noch nicht wieder gesehen. Ihre Wangen röteten sich vor Verlegenheit, als sie an die verfängliche Situation dachte.
Auch er mußte wieder daran denken, wie ihr schlanker, biegsamer Körper sich unter
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