Marlene Suson 3
ihm gewunden hatte.
Seine Reaktion war dementsprechend. Er wünschte, seine Hose wäre nicht so eng.
Er verstand sich selbst nicht. Sein Stolz hatte sich noch im- mer nicht von dem Tiefschlag erholt, daß Daniela ihm Rigsby als Liebhaber vorzog. Sie war nun wirklich keine Schönheit und obendrein leichtfertig. Warum, zum Teufel, reagierte sein Körper dann auf sie, als wäre sie ebenso attraktiv wie Rachel? „Verstecken Sie sich hier?“
„Ich versuche nur, meinem Bruder aus dem Weg zu gehen. Ba- sil ist in einer gräßlichen Laune, seit Sir Waldo Fletcher heute morgen abgereist ist ... drei Tage früher als beabsichtigt.“
Morgan glaubte zu wissen, woran Houghtons Zorn sich ent- zündet hatte. Daniela hatte unwissentlich seine Pläne, sie mit Fletcher zu verheiraten, zunichte gemacht. Doch das behielt Morgan für sich.
Daniela klappte das Buch zu und legte es auf die Bank neben sich.
„Was lesen Sie denn da so eifrig?“
„Das Gesetz der Freiheit.“
Morgan war dermaßen verblüfft, daß er ohne zu überle- gen nach dem Buch griff und den Titel las, der in goldenen Lettern auf den Ledereinband geprägt war. Noch nie zuvor war ihm eine Frau begegnet, die sich mit Gerrard Winstan- leys visionären Theorien beschäftigte – und auch nur sehr we- nige Männer. Daniela dagegen war ganz vertieft in das Buch gewesen.
„Haben Sie mir etwa nicht geglaubt?“ fragte sie empört.
„Nun ja ...“, stotterte er ziemlich verlegen. „Immerhin ist es keine typisch weibliche Lektüre.“
Verärgert blitzten ihre grünen Augen ihn an. „Es wird Sie zweifellos überraschen, Mylord, daß mir eine ganze Reihe wis- senschaftlicher und philosophischer Themen nicht ganz fremd sind. Themen, die nach Ansicht der Männer für weibliche Spatzenhirne zu hoch sind.“
In Morgans Blick lagen ehrliche Bewunderung und Respekt. Sie ist einfach unwiderstehlich, wenn sie wütend ist.
„Wenn ich Sie recht verstehe, Mylord, halten Sie die geistige Kapazität der Frauen für nicht ausreichend, um solche Bücher verstehen zu können.“
„Durchaus nicht.“ Zumindest, was Daniela betraf.
Sie streifte ihn mit einem skeptischen Blick. „Wie man sieht, waren Sie auf dem Weg zum Stall.“ Ihre Stimme war eisig. „Lassen Sie sich bitte von mir nicht aufhalten.“
Morgans Kinnlinie verhärtete sich. Er war es nicht gewöhnt, so frostig entlassen zu werden, schon gar nicht von einer Frau. Wieder war sein Stolz empfindlich getroffen worden.
Als die Gesellschaft sich am Abend nach dem Dinner im Sa- lon versammelte, fragte Morgan Daniela: „Was halten Sie von Winstanleys Theorien?“
Überrascht – und insgeheim erfreut – , daß er sich zu ihr gesellte und nicht zu Lady Elizabeth, fragte Daniela: „Warum wollen Sie das wissen? Sie haben das Buch doch sicher nicht gelesen.“ Ein solches Thema konnte einen aristokratischen Müßiggänger wohl kaum interessieren.
„Da irren Sie sich.“ Morgan lächelte entwaffnend. „Ich bin
nicht der Ignorant, für den Sie mich offenbar halten. Und ich würde wirklich gern Ihre Meinung dazu hören.“
Argwöhnisch musterte sie ihn. „Weil Sie glauben, daß die inkompetente Meinung einer Frau Sie amüsieren könnte?“
„Nein, weil ich wissen möchte, was Sie an diesem Thema interessiert.“
„Ich glaube ebenso wie Winstanley daran, daß die Gesellschaft für alle Menschen Nahrung, Arbeit, Ausbildung und anstän- dige Lebensbedingungen garantieren müßte.“ Daniela erwartete Morgans Widerspruch.
Statt dessen sagte er trocken: „Ich bezweifle, daß Ihr Bruder Basil Ihnen darin zustimmt.“
„Sie vermutlich auch nicht.“
Er hob die Brauen. „Sie würden womöglich überrascht sein.“
„Das bezweifle nun wieder ich. Weiterhin bin ich mit Winstan- ley einer Meinung, daß die Wissenschaft dazu genutzt werden sollte, Wohlstand und Zufriedenheit für alle zu schaffen.“
Noch während Daniela sprach, trat Lady Elizabeth zu ih- nen. Morgan, der aufmerksam zuhörte, bemerkte sie erst, als sie die Hand auf seinen Arm legte und engelsgleich zu ihm auflächelte.
Er wandte sich ihr zu, und Daniela nutzte die Gelegenheit, sich zu entfernen. „Ich muß noch etwas mit Cousine Martha besprechen.“
Während sie den beiden den Rücken zuwandte, hörte sie Eli- zabeth fragen: „Was in aller Welt hat Lady Daniela da eben von sich gegeben? Ich habe nicht ein Wort verstanden.“
„Wir sprachen über Winstanleys Gesetz der Freiheit.“
„Ich kenne weder den Autor noch das Buch, aber es
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