Mars Live
Ballen der Faust hingeschmiert hatte. Ein ziemlich nachlässiges Kind.
»Soll ich Ihnen noch eine Thermostube Kaffee ausdrücken?« fragte sie. Dr. Jeffries trank zehn bis fünfzehn Tassen am Tag. Doch er schüttelte den Kopf, ohne sich umzuwenden, und Greetings setzte ihren Weg fort.
Die Everly Brothers wurden in einem Schrank am Eingang zum dunklen, unheimlichen HAB No. 3 aufbewahrt. Auf dem Rückweg zur Brücke warf Greetings einen Blick in den Stalin-Salon, wo Beverly Glenn immer noch schlief. In einem grellgelben Overall wie ein Ornament an der Decke schwebend, schnarchte sie leise. Grüne und blaue Aufweckpflaster klebten an ihren Fuß- und Handgelenken und an ihrem Hals. Ihr Bart war blond und flaumig wie ein Pfirsichpelz. Nachdem sie beide Türen überprüft hatte, um sicherzugehen, daß sich niemand näherte, blickte sie an der Vorderseite des Overalls des Filmstars hinab. Sie selbst hatte gerade eben erst die Pubertät hinter sich, und die weichen Haare zwischen Beverly Glenns vollkommen geformten Brüsten faszinierten sie. Es war etwas Geheimnisvolles – doch sie fand es nicht seltsamer als die Vorstellung von Menstruationsblut an ihren eigen Haaren ›da unten‹.
Als Greetings zur Brücke zurückkam, beugte sich Natascha Kirow über den Positionsscanner und versuchte, eine der beiden treibstoffaufbereitenden Einheiten zu lokalisieren, die zwanzig Jahre zuvor auf die Marsoberfläche geschickt worden waren. Ihr Gesicht wirkte zweigeteilt wie das eines Clowns: eine Wange schimmerte im orangefarbenen Schein des Marses rötlich, die andere war in das graue Licht des Aschehaufens Phobos getaucht, der nur zehn Kilometer vom Steuerbordbug der Mary Poppins entfernt verschwommen sichtbar war. Bass war zusammen mit Sweeney damit beschäftigt, die Koordinaten der auf der anderen Seite der von Phobos verborgenen Landefähre zu ermitteln. Glamour schwebte an der Decke und filmte oder suchte Motive, wie er es nannte. Vielleicht war er der Geist, dachte Greetings. Vielleicht war es das, was Geister taten. Vielleicht waren lebendige Menschen lediglich Darsteller in ihrem Film.
»Ich empfange hier ein Piepsen«, sagte Natascha Kirow. »Das muß Agnew sein. Gagarin ging vor vielen Jahren verloren. Und was ist das? Ach, die Everly Brothers. Danke, Kleine.«
Seit sechsunddreißig Stunden umkreiste die Mary Poppins den Mars in der Spur seines inneren Mondes. Das Schiff befand sich nicht in einer Umlaufbahn um Phobos; der dreißig Kilometer lange, kartoffelförmige Satellit war zu klein, um es festzuhalten. Das Schiff befand sich im selben Marsorbit wie Phobos, Seite an Seite, ebenso wie die Landefähre Ziolkowski, die auf der anderen Seite des Marsmondes versteckt war. Es war eine unstabile Konfiguration; die Mary Poppins trieb mit etwa elf Metern pro Tag auf Phobos zu, also würde sie in einhundert Tagen mit ihm zusammenprallen. Doch bis dahin, ob gut oder schlecht, würde es sie längst nicht mehr geben.
Die Frage war: würde sich der Sturm rechtzeitig legen, damit sie zur Oberfläche hinunter und wieder zurück kämen, bevor sie zur Erde zurückkehren mußten? Oder wie Markson es beinahe täglich ausdrückte: Würden sie einen Film im Kasten haben?
Der Mars, 5978 Kilometer unter ihnen, wirkte beinahe zum Berühren nahe, doch es gab nichts zu sehen außer einem rötlichen Staubwolkengestöber. Der Planet war so nichtssagend, wie es die Venus gewesen war, oder eigentlich schlimmer, da die Wolken weder Form noch Tiefe hatten. Selbst die eisbedeckten Pole waren der Sicht verborgen. Das einzige Sichtbare waren die schneebedeckten Gipfel der 25.000 Meter hohen Tharsis-Vulkane – Olympus, Arsia, Ascaeus und Pavonis Mons.
Sweeneys Horoskop, mit allen Schreibfehlern durchgefaxt, erschien auf dem Bildschirm über Bass’ Konsole:
EINE LANG ERSEHNTE BEGEGNUNG KÖNNTE SICH ALS ENDTÄUSCHEND ERWEISEN
»Wie lang kann das dauern?« fragte Greetings.
Bass zuckte auf die typische Bass-Art die Achseln. »Wir haben jetzt den Marssommer. Die stürmische Jahreszeit. Vielleicht einen Monat, vielleicht einen Tag, vielleicht eine Woche.«
An der Decke stöhnte Glamour auf. Sie mußten 19 Tage warten, bis sich wieder ein Startfenster für die Rückkehr öffnete, und 22,6 Tage, bevor es sich schloß. Drei Wochen, um zur Sache zu kommen, um genügend Motive für einen Film zu sammeln und zur Mary Poppins zurückzukehren – und zwei Tage waren bereits verstrichen.
Drei Tage.
»Sollten Sie Ihr Filmmaterial nicht für den
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