Mars Trilogie 1 - Roter Mars
erschien dann viele Tage nach jenem Besuch das Ende des Kabels wirklich am Himmel und hing dort. Während der nächsten Wochen senkte es sich immer langsamer vom Himmel herab. Tatsächlich ein sehr seltsamer Anblick, der bei Frank einen leichten Schwindel hervorrief und jedesmal, wenn er es sah, kam ihm wieder das Bild in den Sinn, er stünde auf einem Meeresboden. Man sah an einer Angelschnur in die Höhe, einem schwarzen Faden, der von der dunklen Oberfläche des Ozeans herunterhing.
Frank verbrachte diese Zeit mit der Einrichtung der leitenden Ministerialbüros des Mars in der Stadt, die eines Tages den Namen Sheffield erhielt. Der Stab in Burroughs protestierte gegen den Umzug, aber er ignorierte ihn. Er traf sich in dieser Zeit mit amerikanischen Beamten und Projektmanagern, die alle an verschiedenen Aspekten des Aufzugs in Sheffield arbeiteten oder in den Städten der Umgebung von Pavonis. Amerikaner bildeten nur einen Teil der vor Ort tätigen Arbeitskräfte, aber Chalmers wurde trotzdem in Atem gehalten, weil das Projekt im Ganzen so riesig war. Und Amerikaner schienen die Oberleitung zu beherrschen und auch die mit den eigentlichen Aufzugswagen verbundene Software. Dieses Unternehmen war milliardenschwer, und viele Leute schrieben es Frank zu, obwohl faktisch sein intelligenter Computer und Slusinski zusammen mit Phyllis dafür verantwortlich waren.
Viele Amerikaner wohnten in einer Kuppelstadt östlich von Sheffield namens Texas und teilten sich den Raum mit Internationalen, denen die Idee von Texas gefiel, oder die zufällig dorthin geraten waren. Frank kam mit so vielen von ihnen zusammen, wie er konnte, so daß sie zu der Zeit, da das Kabel unten ankam, organisiert waren und mit einer kohärenten Direktive arbeiteten oder, wie manche es ausdrückten, unter seiner Fuchtel. Aber sie waren froh, dort zu sein, so lange es für sie reizvoll war. Sie wußten, daß sie weniger Macht hatten als das Ostasiatische Commonwealth, das die Wagenkabinen baute, und als die Gesellschaft, welche das Kabel gebaut hatte. Und auch weniger mächtig als Praxis, Amex, Armscor und Subarashii.
Schließlich kam der Tag, da das Kabel unten landen würde. In Sheffield versammelte sich eine riesige Volksmenge, um das zu sehen. Die Bahnhofshalle war überfüllt, da man von dort einen guten Blick längs des Randes zum Basiskomplex hatte, der populär als die Steckdose bezeichnet wurde.
Während die Stunden vergingen, driftete das Ende der schwarzen Säule nach unten und bewegte sich immer langsamer, bis es seinem Ziel nahe war. Da hing es nun, nicht sehr viel dicker als die Führungstrosse, die es nach unten lenkte, tatsächlich kleiner als das untere Ende einer Energija-Rakete. Es ragte genau senkrecht in den Himmel auf, war aber so dünn, und die perspektivische Verkürzung war so stark, daß es nicht viel länger wirkte als ein hoher Wolkenkratzer. Ein sehr magerer Wolkenkratzer, der auf der Luft ruhte. Ein schwarzer Baumstamm, höher als der Himmel. »Wir sollten uns direkt darunter befinden auf dem Boden der Steckdose«, sagte einer von seinen Leuten. »Dort wird noch lichte Höhe sein, wenn es anhält, nicht wahr?«
Slusinski entgegnete, ohne den Blick vom Himmel zu wenden: »Das Magnetfeld könnte dich etwas zerzausen.«
Als es näher kam, sahen sie, daß das Kabel allerhand Vorsprünge aufwies und mit Silberfäden umsponnen war. Die Lücke unter ihm wurde kleiner. Dann verschwand sein Ende im Basiskomplex, und das wie das Rauschen in einer Muschel klingende Geräusch der Menge im Bahnhof wurde lauter. Die Leute verfolgten es genau im Fernsehen. Kameras im Innern der Steckdose zeigten, wie das Kabel langsam anhielt, noch zehn Meter über dem Betonboden. Danach kam die pinzettenartige Bewegung von Stützblöcken und die Verklammerung eines festen Kragens um das Kabel einige Meter vor seinem Ende. Alles geschah in traumartiger Zeitlupe; und als es fertig war, sah es so aus, als ob der runde Raum der Steckdose plötzlich ein schlecht passendes schwarzes Dach bekommen hätte.
Über das Lautsprechersystem sagte eine Frauenstimme: »Der Aufzug ist gesichert.« Es gab kurze Hochrufe. Die Leute entfernten sich von den Fernsehern und schauten wieder aus den Wänden der Kuppeln nach draußen. Jetzt sah das Objekt viel weniger seltsam aus, als da es aus dem Himmel herausgehangen hatte. Jetzt war es nicht mehr als die reductio ad absurdum von Mars-Architektur, ein sehr schlanker, sehr hoher schwarzer Kirchturm. Eine Bohnenstange,
Weitere Kostenlose Bücher