Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars
ihren verkrampften Magen und legte ihr Gesicht Michel auf die Schulter. Ihre Rippen hoben und senkten sich. »Ich kann es nicht aushalten. Wenn ich nicht weiß, was geschah ... wie kann ich mich da erinnern? Wie kann ich auch nur an sie denken?«
Michel hielt sie und beruhigte sie durch seine Umarmung. Er drückte immer wieder ihre Rückenmuskeln. »Ah, Maya!«
Nach langer Zeit setzte sie sich auf, ging zur Spüle und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser, vermied es aber, in den Spiegel zu blicken. Sie ging wieder zum Bett und setzte sich, äußerst mutlos mit langsam eindringender Schwärze in jedem Muskel.
Michel ergriff wieder ihre Hand. »Ich frage mich, ob es nicht hilft, wenn man weiß. Oder mindestens so viel weiß, wie man kann. Nachzuforschen, weißt du. Über John und Frank zu lesen - es gibt jetzt natürlich Bücher ... Und die anderen Leute befragen, die in Nicosia gewesen sind, besonders die Araber, die Selim el-Hayil vor seinem Tod gesehen haben. Es würde dir eine Art von Kontrolle geben. Es wäre keine exakte Erinnerung, aber auch kein Vergessen. Das sind nicht die einzigen zwei Alternativen, so seltsam das scheinen mag. Wir müssen unsere Vergangenheit akzeptieren, verstehst du? Wir müssen sie durch einen Akt der Phantasie zu einem Teil dessen machen, was wir jetzt sind. Das ist ein kreativer, aktiver Prozeß. Der ist nicht einfach. Aber ich kenne dich, und du bist vielleicht besser, wenn du aktiv bist und etwas Kontrolle hast.«
Sie sagte: »Ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich kann es nicht ertragen, nicht zu wissen, habe aber Angst davor. Besonders, wenn es wahr ist.«
»Sieh zu, wie du dich dabei fühlst«, schlug Michel vor. »Versuche es und sieh zu! Da beide Alternativen zugegebenermaßen schmerzhaft sind, könnte es sein, daß du Aktion der anderen Alternative vorziehst.«
»Nun gut!« Sie schnüffelte und warf einen Blick durch das ganze Zimmer. Aus dem Raum an der anderen Seite des Spiegels starrte sie eine mörderische Fratze an. »Mein Gott, ich bin so häßlich!« sagte sie. Der Widerwillen ließ sie fast sich erbrechen.
Michel stand auf und ging zum Spiegel. Er sagte: »Es gibt etwas, das man körperliche dysmorphe Unordnung nennt. Das hängt zusammen mit durch Besessenheit erzwungener Unordnung und mit Depression. Ich habe schon längst bei dir Anzeichen davon gesehen.«
»Es ist mein Geburtstag.«
»Oh! Das ist ein Problem, mit dem du fertig werden kannst.«
»Geburtstage?«
»Körperliche dysmorphe Unordnung.«
»Ich will keine Drogen nehmen.«
Er hängte ein Handtuch über den Spiegel und sah sie an. »Was meinst du? Vielleicht ist es einfach ein Mangel an Serotonin. Eine biochemische Insuffizienz. Eine Krankheit. Nichts, deswegen man sich schämen müßte. Wir nehmen alle Drogen. Clomipramin ist bei diesem Problem sehr hilfreich.«
»Ich werde es mir überlegen.«
»Und keine Spiegel.«
»Ich bin kein Kind!« knurrte sie. »Ich weiß, wie ich aussehe.« Sie sprang auf und riß das Handtuch vom Spiegel herunter. Verrückter Reptilgeier, Pterodaktylus, wild ... Es war irgendwie eindrucksvoll.
Michel zuckte die Achseln. Er zeigte ein leichtes Lächeln. Machte ein Gesicht, das sie schlagen oder küssen wollte. Er liebte Eidechsen.
Sie schüttelte den Kopf, um ihn frei zu machen. »Nun gut. Etwas unternehmen, sagst du.« Sie dachte darüber nach. »Ich ziehe Aktion gewiß der Alternative vor in der gegenwärtigen Situation.« Sie erzählte ihm von der Nachricht aus dem Süden und was sie den anderen vorgeschlagen hatte. »Die machen mich so wütend. Sie warten bloß auf eine Katastrophe, um wieder loszuschlagen. Alle außer Sax; und der ist eine unsichere Kanone mit all seinen Sabotagen. Er berät sich mit niemandem außer diesen Narren, welche er hat. Wir müssen etwas Koordiniertes unternehmen!«
»Gut«, sagte er nachdrücklich. »Ich stimme zu. Das müssen wir tun.«
Sie sah ihn an. »Wirst du mit mir nach Hellas Basin gehen?«
Er lächelte, ein spontanes Grinsen reiner Freude.
Von Entzücken, daß sie gefragt hatte. Es drang in ihr Herz, als sie das sah.
Er sagte: »Ja. Ich habe hier noch etwas zu erledigen, kann das aber rasch tun. Nur ein paar Wochen.« Und er lächelte wieder. Sie sah, daß er sie liebte. Nicht bloß als Freund oder Arzt, sondern auch als Liebhaber. Und doch mit einer gewissen Distanz, einer Michel-Distanz, irgendwie therapeutisch. So daß sie noch atmen konnte. Geliebt zu werden und noch zu atmen. Noch einen Freund zu haben.
»Also
Weitere Kostenlose Bücher