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Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars

Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars

Titel: Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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genug, um eine Menge von Zurichten erforderlich zu machen, was lange dauerte. Eine Stunde. Aber sie schaffte es nicht, die Haare gleich lang zu kriegen, und holte schließlich den Rasierapparat aus der Dusche und rasierte sich. Mit Toilettenpapier betupfte sie die stark blutenden Schnitte und ignorierte die entblößten alten Narben und Vertiefungen in dem kahlen Schädel so dicht unter der Haut. Es war hart, dies zu tun, ohne je das monströse Gesicht anzuschauen, das sich unter der Vorderseite des Schädels befand.
    Als sie fertig war, starrte sie unbarmherzig die Mißgeburt im Spiegel an: androgyn, verwittert, verrückt. Das Gesicht wurde geierhaft: Kahlkopf, lappiger Hals, kleine Augen, Hakennase und der heruntergezogene lippenlose Mund. Während sie dieses häßliche Gesicht anstarrte, gab es sehr lange Momente, wo sie sich an gar nichts über Maya Toitovna erinnern konnte. Sie stand eingefroren in der Gegenwart, allem fremd.
     
    Beim Klopfen an der Tür machte sie einen Sprung. Der Schreck erlöste sie. Sie zögerte, plötzlich beschämt und sogar erschrocken. Ein anderer Teil von ihr krächzte: »Herein!«
    Die Tür ging auf. Es war Michel. Er sah sie und blieb auf der Schwelle stehen. »Nun?« sagte sie. Sie sah ihn an und kam sich nackt vor.
    Er schluckte und neigte den Kopf. »Schön wie immer.« Mit schiefem Grinsen.
    Sie mußte lachen. Dann setzte sie sich aufs Bett und fing an zu weinen. Sie wischte sich die Augen und sagte: »Manchmal wünsche ich, ich könnte aufhören, Toitovna zu sein. Ich bin dessen so überdrüssig, und all dessen, was ich getan habe.«
    Michel setzte sich neben sie. »Wir sind in unseren Ichs eingesperrt bis zum Ende. Das ist der Preis, den man für das Denken zahlt. Aber wer möchte lieber - Missetäter oder Idiot sein?«
    Maya schüttelte den Kopf. »Ich war unten im Park mit Vlad, Ursula und Marina und mit Sax, der mich haßt. Ich habe sie alle angeschaut, und wir müssen wirklich etwas unternehmen. Aber als ich sie ansah und mich an alles erinnerte - zu erinnern suchte -, da schienen wir alle solch ... Versehrte Leute zu sein.«
    »Es ist viel geschehen«, sagte Michel und legte seine Hand auf die ihre.
    »Hast du Schwierigkeiten, dich zu erinnern?« Maya erschauerte und packte seine Hand wie ein Floß. »Manchmal werde ich so ärgerlich, daß ich alles vergesse.« Sie lachte schniefend. »Das heißt, ich bin entweder eine Verbrecherin oder eine Idiotin - um deine Frage zu beantworten. Wenn man vergißt, ist man von der Vergangenheit frei, aber nichts hat etwas zu bedeuten. Also gibt es kein Entrinnen« - sie fing wieder an zu weinen. »Erinnerung oder Vergessen, beides tut gleich weh.«
    Michel sagte sanft: »Probleme mit dem Gedächtnis sind in unserem Alter nicht ungewöhnlich. Besonders Erinnerung auf mittlere Distanz, sozusagen. Es gibt Übungen, die da helfen.«
    »Es ist doch kein Muskel.«
    »Ich weiß. Aber die Kraft des Gedächtnisses scheint durch Gebrauch stärker zu werden. Und der Akt der Erinnerung kräftigt anscheinend auch das Gedächtnis selbst. Das ergibt Sinn, wenn man darüber nachdenkt. Synapsen werden physisch verstärkt oder ersetzt. So etwas.«
    »Aber dann, wenn man das, an was man sich erinnert, nicht ertragen kann - o Michel...« Sie holte tief, aber ungleichmäßig Luft. »Sie haben - Marina hat gesagt, daß Frank John ermordet hätte. Sie sagte es zu den anderen, als sie glaubte, daß ich es nicht hören würde. Sie sagte es so, als ob es allgemein bekannt wäre!« Sie faßte ihn bei der Schulter und drückte, als könne sie mit ihren Fingern die Wahrheit aus ihm herauspressen. »Michel, sag mir die Wahrheit! Ist das richtig? Ist es das, was nach euer aller Meinung geschah?«
    Michel schüttelte den Kopf. »Niemand weiß, was geschehen ist.«
    »Ich war dort! Ich war in jener Nacht in Nicosia, und sie nicht. Ich war mit Frank zusammen, als es passierte. Er hatte keine Ahnung, das schwöre ich.«
    Michel blinzelte unsicher, und sie sagte: »Mach nicht so ein Gesicht!«
    »Ich nicht, Maya. Ich will damit gar nichts ausdrücken. Ich muß dir alles mitteilen, was ich gehört habe, und versuchen, mich auch selbst zu erinnern. Es hat Gerüchte gegeben - alle Arten von Gerüchten! - über das, was in jener Nacht geschah. Es stimmt, manche sagen, Frank war - beteiligt. Oder hatte Verbindungen zu den Saudis, die John töteten. Daß er sich mit dem, der später starb, am nächsten Tage traf und so weiter.«
    Maya weinte stärker. Sie beugte sich über

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