Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars

Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars

Titel: Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
Vom Netzwerk:
»Wir haben alle untereinander gestritten. Das besagt nichts.«
    Dann merkte sie, daß Sax sie direkt anschaute - jetzt endlich, wo sie wütend war -, anschaute mit einer eigenartigen Miene, kühl und schwer zu deuten - ein Blick der Anklage, der Rache, oder was? Sie hatte auf russisch geschrien, und die anderen hatten ebenso geantwortet; und sie nahm nicht an, daß Sax es sprach. Vielleicht war er nur darauf neugierig, was sie alle so erregt hatte. Aber die Antipathie in diesem starren Blick - als ob er bestätigte, was Marina gesagt hatte - es wie einen Nagel in sie einhämmerte!
    Maya drehte sich um und floh.
     
    Sie befand sich vor der Tür zu ihrem Zimmer, ohne sich zu erinnern, daß sie Sabishii durchquert hatte, und warf sich drinnen aufs Bett wie in die Arme ihrer Mutter. Aber in dem schönen schlichten Raum fuhr sie bald wieder hoch, schockiert durch die Erinnerung an ein anderes Zimmer, das sie vom Mutterleib an verfolgt hatte in einem anderen Moment von Schreck und Angst... keine Antworten, keine Ablenkung, kein Entrinnen ... Über der kleinen Spüle sah sie ihr Gesicht wie in einem eingerahmten Porträt - hager, alt, rotgeränderte Augen wie die Augen einer Eidechse. Ein Alptraum verursachendes Bild. Das war es. Als sie den blinden Passagier auf der Ares erblickt hatte, das Gesicht, das sie durch ein Gefäß mit Algen gesehen hatte. Cojote! Ein Schock, der sich nicht als Halluzination erwiesen hatte, sondern als Realität.
    Und so könnte es sein mit dieser Mitteilung über Frank und John.
    Sie versuchte, sich zu erinnern. Mit aller Gewalt wollte sie sich an Frank Chalmers richtig erinnern. Sie hatte mit ihm in jener Nacht in Nicosia gesprochen bei einer Begegnung, die sich nicht durch ihre Unbeholfenheit und Spannung auszeichnete. Frank war wie immer bedrückt und abweisend gewesen ... Sie waren genau in dem Moment beisammen gewesen, da John bewußtlos geschlagen, in die Farm gezerrt und dort dem Tode überlassen worden war. Frank hätte nicht...
    Aber natürlich gab es Surrogate. Man konnte immer Leute dafür bezahlen, daß sie für einen tätig wurden. Nicht, daß die Araber an Geld für sich interessiert gewesen wären. Aber Stolz, Ehre, ehrenhaft bezahlt, oder für irgendeine politische Gegenleistung, die Währung, die Frank immer so geschickt ausgegeben hatte ...
    Aber sie konnte sich so wenig an jene Jahre erinnern, an die Einzelheiten. Wenn sie sich darauf konzentrierte und dazu zwang, sich zu erinnern, war es erschreckend, wie wenig herauskam. Fragmente, Momente. Scherben einer ganzen Zivilisation. Einmal war sie so wütend gewesen, daß sie eine Kaffeetasse von einem Tisch heruntergestoßen hatte, wobei der abgebrochene Henkel wie ein halb verzehrtes Brötchen auf dem Tisch liegengeblieben war. Aber wo war das gewesen und wann und mit wem? Sie konnte sich nicht sicher sein. »Aahh!« rief sie wider Willen; und das antediluvianische Gesicht im Spiegel widerte sie plötzlich mit seinem pathetischen reptilartigen Schmerz an. Sie war früher einmal eine Schönheit gewesen, sie war darauf stolz gewesen, sie hatte sie wie ein Skalpell benutzt. Jetzt... Ihr Haar hatte sich in den letzten Jahren bei der letzten Behandlung von weiß zu stumpf-grau verändert. Und jetzt wurde es dünner - um Gottes willen! - und nur an einigen Stellen/aber nicht an anderen. Abscheulich. Und früher eine Schönheit. Es war einmal. Dieses falkenartige prächtige Gesicht - und jetzt? Als ob die Baronin Blixen, in ihrer Jugend einst eine erlesene Schönheit, zu der syphilitischen Hexe Isak Dinesen zusammengeschrumpft wäre und dann Jahrhunderte lang weitergelebt hätte wie ein Vampir oder Zombie - eine verwüstete lebende Eidechsenleiche. 130 Jahre alt. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!
    Sie ging zum Ausguß und zog die Seite des Spiegels heraus. Dahinter war ein kleines, überfülltes, medizinisches Fach. Nagelscheren auf dem obersten Regal. Irgendwo auf dem Mars fertigten sie Nagelscheren an, ohne Zweifel aus Magnesium. Sie holte sie herunter, zog sich eine Haarsträhne vom Kopf, bis es weh tat, und schnitt sie dann direkt über der Haut ab. Die Klingen waren stumpf; aber sie zog kräftig genug, daß sie funktionierten. Sie mußte aufpassen, sich nicht in die Kopfhaut zu schneiden. Ein winziger Rest ihrer Eitelkeit würde das nicht zulassen. Also war es ein langer, langweiliger mühsamer und schmerzhafter Job. Aber irgendwie ein Trost, weil er so ablenkend, methodisch und destruktiv war.
    Der erste Schnitt war grob

Weitere Kostenlose Bücher