Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars
Hand; und ihre ganze Crew hielt Betäubungsgewehre oder Nagelpistolen oder Flammenwerfer hoch.
»Wir wollen kein Blutvergießen«, sagte Nadia zu dem immer dichter werdenden Haufen von Leibwächtern vor sich. »Wir wollen euch nicht einmal gefangennehmen. Da steht unser Zug. Ihr könnt ihn nehmen, nach Sheffield fahren und euch mit dem Rest eures Teams zusammentun. Dort werdet ihr den neuen Stand der Dinge erfahren. Sonst werden wir den Bahnhof hier verlassen und in die Luft jagen. Wir übernehmen so oder so die Macht; und es wäre töricht, wenn irgend jemand getötet würde, weil die Revolte schon gewonnen ist. Nehmt also den Zug! Ich würde raten, nach Sheffield zu gehen, wo ihr, wenn ihr wollt, eine Fahrt mit dem Aufzug nach draußen bekommen könnt. Wenn ihr aber für einen freien Mars arbeiten wollt, dann könnt ihr euch gleich jetzt und hier mit uns vereinigen.«
Sie sah den Mann ruhig an und fühlte sich erleichterter, als sie den ganzen Tag gewesen war. Der Mann senkte den Kopf, um sich mit seiner Mannschaft zu beraten. Sie redeten fast fünf Minuten flüsternd miteinander.
Dann sah der Mann sie wieder an. »Wir werden euren Zug nehmen.«
Und so wurde Underhill die erste befreite Stadt.
In dieser Nacht ging Nadia hinaus zum Anhängerparkplatz, der sich nahe bei der Mauerkappe des neuen Zeltes befand. Die beiden Habitats, die nicht in Labors umgewandelt worden waren, waren noch mit der Ausstattung der alten Wohnungen versehen. Nachdem Nadia sie besichtigt hatte, ging sie wieder hinaus und durch die Tonnengewölbe und das Alchemistenquartier. Dann kehrte sie zu dem zurück, in dem sie gewohnt hatte, und legte sich mit dem Gefühl von Erschöpfung auf eine der Matratzen auf dem Boden.
Es war wirklich seltsam, zwischen all den Geistern zu liegen und zu versuchen, die Anwesenheit jener vergangenen Zeit wieder in sich zu fühlen. Zu seltsam. Trotz ihrer Erschöpfung konnte sie nicht schlafen. Gegen Morgen hatte sie eine undeutliche Vision, daß sie sich um das Auspacken der Güter von Frachtraketen kümmerte, robotische Fliesenleger programmierte und einen Anruf Arkadys von Phobos entgegennahm. Sie schlief in diesem Zustand sogar einige Zeit und döste ungemütlich dahin, bis ein Kribbeln in ihrem Phantomfinger sie aufweckte.
Und als sie dann knurrend aufstand, war es genauso schwer, sich vorzustellen, daß sie in einer Welt voller Aufruhr erwachte, in der Millionen Menschen darauf warteten, was der Tag bringen würde. Während sie sich in der Enge ihres ersten Heims auf dem Mars umschaute, schien es ihr plötzlich, als ob sich die Wände in einem sehr leichten Rhythmus bewegten, einer Art doppelter Vision, als ob sie in dem schwachen Frühlicht durch einen temporalen Stereogucker blickte, der alle vier Dimensionen zugleich mit einem pulsierenden halluzinatorischen Licht offenbarte.
S ie frühstückten in den Tonnengewölben, in der großen Halle, wo Sax sich einst für die Vorteile einer Terraformung des Mars eingesetzt hatte. Sax hatte diese Diskussion gewonnen; aber Ann kämpfte immer noch darum, als ob nicht alles längst entschieden worden wäre.
Nadia konzentrierte sich auf die Gegenwart, auf ihren Computerschirm und die Flut von Nachrichten, die an diesem Samstag morgen eingingen. Der obere Teil des Bildes galt Mayas sicherem Haus in Burroughs und der untere Teil Praxismeldungen von der Erde. Maya verhielt sich heroisch wie gewöhnlich. Sie zitterte vor Erwartung und kommandierte alle herum, damit sie ihrer Ansicht entsprachen, wie alles geschehen solle, hager und doch in innerer Erregung rotierend. Während Nadia zuhörte, wie sie die letzten Entwicklungen schilderte, verzehrte sie methodisch ihr Frühstück und nahm das vorzügliche Brot von Underhill kaum wahr. In Burroughs war schon Nachmittag, und der Tag war geschäftig gewesen. Jede Stadt auf dem Mars war in Aufruhr. Auf der Erde waren inzwischen alle Küstengebiete überschwemmt, und die Massenverschiebungen bewirkten im Landesinnern ein Chaos. Die neue UN hatte die Aufständischen auf dem Mars als herzlose Opportunisten verurteilt, die ein Leid, wie es noch nie vorgekommen war, ausnützten, um ihre eigene selbstsüchtige Sache zu fördern. »Nur allzu wahr«, sagte Nadia zu Sax, als er zur Tür hereinkam, frisch vom Da Vinci-Krater. »Ich wette, daß sie uns das später vorhalten werden.«
»Nicht, wenn wir ihnen aus ihrer Scheiße heraushelfen.«
»Hmm.« Sie bot ihm Brot an und betrachtete ihn genau. Trotz seiner veränderten
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