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Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars

Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars

Titel: Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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Geschlechtsverkehr zu haben, die er schon so lange kannte. Und jeder andere unter den Ersten Hundert war polygam gewesen, wie es schien, jeder außer Phyllis und ihm. Also schickten sie sich jetzt dazu an. Und sie war sehr attraktiv. Es war auch wirklich etwas, das man sich wünschte.
    Alle diese nüchternen Überlegungen waren in diesem Moment leicht und wurden im sexuellen Ansturm der Sinne völlig vergessen. Aber unmittelbar nach Ausübung des Aktes machte Sax sich schon wieder Sorgen. Sollte er in sein Zimmer gehen, sollte er bleiben? Phyllis war eingeschlafen mit einer Hand auf seiner Flanke, wie um sich zu vergewissern, daß er bleiben würde. Im Schlaf sahen alle wie Kinder aus. Er betrachtete ihren Körper und war wieder einmal leicht schockiert über den sexuellen Dimorphismus. Sie atmete so ruhig. Als ob sie bloß begehrt sein wollte. Ihre Finger waren noch an seine Rippen gedrückt. So blieb er also, aber er schlief nicht viel.

S ax ging an die Arbeit auf dem Gletscher und seiner Umgebung. Phyllis ging auch manchmal hinaus, war aber in ihrem Verhalten ihm gegenüber immer diskret. Sax zweifelte, ob Claire (oder Jessica) gemerkt hatten, was geschehen war, oder ob sonst jemand es gemerkt hatte oder erkannte, daß es alle paar Tage wieder passierte. Das war eine weitere Komplikation. Wie würde Lindholm auf Phyllis' offenkundiges Verlangen nach Heimlichkeit reagieren? Aber letztlich kam es nicht darauf an. Lindholm war durch Ritterlichkeit oder Gefälligkeit oder etwas derartiges mehr oder weniger gezwungen, sich so zu verhalten, wie Sax es getan hätte. Und so behielten sie ihre Affäre für sich, ziemlich so, wie sie es in Underhill getan haben würden oder auf der Ares oder in Antarctica. Alte Gewohnheiten sind schwer auszurotten.
    Und da der Gletscher Ablenkung bot, war es recht leicht, die Affäre geheimzuhalten. Das Eis und das zerklüftete Land um ihn herum war eine faszinierende Umgebung, und es gab da draußen viel zu studieren und zu versuchen, es zu verstehen.
    Die Oberfläche des Gletschers erwies sich als äußerst zerbrochen, wie die Literatur hatte erwarten lassen. Mit Regolith vermischt während der Flut und durchsetzt mit Kohlenstoffeinschlüssen. Steine und Felsblöcke, die auf der Oberfläche eingefangen waren, hatten das Eis unter ihnen schmelzen lassen; und danach war es wieder gefroren in einem täglichen Zyklus, bei dem sie alle zu etwa zwei Dritteln eingetaucht blieben. Alle Eiszacken, die sich wie mächtige Dolmen über die zerrissene Fläche des Gletschers erhoben, erwiesen sich bei näherer Betrachtung als stark mit Löchern bedeckt. Das Eis war wegen der extremen Kälte brüchig und floß wegen der geringen Schwerkraft nur langsam bergab. Nichtsdestoweniger bewegte es sich nach unten wie ein Fluß in Zeitlupe. Und weil ihre Quelle leer war, würde die ganze Masse schließlich auf Vastitas Borealis landen. Und Anzeichen dieser Bewegung konnte man in dem frisch gebrochenen Eis jeden Tag erkennen - neue Spalten, umgefallene Eisnadeln, zerklüftete Eisberge. Diese frischen Flächen wurden rasch von kristallinen Eisblumen bedeckt, deren Salzgehalt die Kristallisation nur beschleunigte.
    Durch dieses Milieu fasziniert, nahm Sax die Gewohnheit an, jeden Tag in der Morgendämmerung hinauszugehen. Er folgte mit Flaggen markierten Spuren, die die Stationscrew angelegt hatte. In der ersten Stunde des Tages glühte das ganze Eis in starken rötlichen Tönen, indem es Farben des Himmels reflektierte. Wenn direktes Sonnenlicht die zertrümmerten Flächen des Gletschers traf, begann aus den Spalten und mit Eis bedeckten Tümpeln Dampf aufzusteigen, und die Eisblumen glitzerten wie üppige Juwelen. An windstillen Morgen fing eine Inversionsschicht den Nebel in etwa zwanzig Metern Höhe ab und bildete eine dünne orangefarbene Wolke. Es war deutlich, daß das Wasser des Gletschers sich rasch in die Welt verteilte.
    Als er durch die kalte Luft marschierte, erspähte Sax viele verschiedene Spezies von Schneealgen und Flechten. Die dem Gletscher zugekehrten Hänge der beiden seitlichen Grate waren besonders stark bevölkert, gefleckt mit kleinen Stellen von Grün, Golden, Oliv, Schwarz, Rost und vielen anderen Farben - im ganzen vielleicht dreißig oder vierzig. Sax schlenderte vorsichtig über diese Pseudomoränen, als ob er sich ebenso scheute, auf pflanzliches Leben zu treten wie auf irgendein Experiment im Labor. Wenn es auch wohl nicht so aussah, als ob die meisten Flechten es bemerken würden.

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