Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars

Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars

Titel: Mars-Trilogie 2 - Grüner Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
Vom Netzwerk:
echte Erinnerung einbrach, die sie leicht schüttelte. Dreißig Stunden waren eine bemerkenswert schnelle Evakuierung, und ohne Zweifel war die Zeit in einer traumhaften Hetze von Tätigkeit vorbeigerauscht, in einem Geisteszustand, der von gewöhnlicher Zeit so verschieden war, daß man ihn für Transzendenz halten konnte.
    »Danach galt es nur, sich in einigen Aufenthaltsräumen zusammenzuquetschen, wir waren zweihundertsechsundachtzig Personen, und nach draußen zu gehen, um entbehrliche Teile der Frachter wegzuschneiden. Und uns in der Hoffnung, daß der Treibstoff reichen würde, auf Kurs zum Jupiter zu bringen. Es dauerte länger als zwei Monate, bis wir sicher sein konnten, das Jupitersystem zu kreuzen, und weitere zehn Wochen, bis es wirklich so weit war. Wir benutzten den Jupiter selbst als Gravitationshebel und schwangen herum auf die Erde zu, die um diese Zeit näher war als der Mars. Und wir schleuderten so scharf um Jupiter herum, daß wir die Atmosphäre der Erde brauchten und dazu die Schwerkraft des Mondes, um uns abzubremsen, weil wir fast keinen Treibstoff mehr hatten, als wir gerade um einen Faktor zwei die schnellsten Menschen der Geschichte waren. Ich glaube, es waren achtzigtausend Kilometer in der Stunde, als wir zum ersten Mal auf die Stratosphäre trafen. Eine wirklich nützliche Geschwindigkeit, da uns Nahrung und Luft ausgingen. Wir waren am Ende wirklich hungrig. Aber wir haben es geschafft. Und wir haben Jupiter so nahe gesehen.« Sie hielt Daumen und Zeigefinger ein paar Zentimeter dicht zusammen.
    Die Leute lachten, und der Glanz in Phyllis' Auge hatte mit Jupiter nichts zu tun. Aber an ihre Mundwinkel trat ein scharfer Zug. Etwas am Ende der Geschichte hatte den Triumph irgendwie getrübt.
    Jemand fragte: »Und Sie waren doch die Anführerin, nicht wahr?«
    Phyllis hielt die Hand hoch, um zu sagen, daß sie das nicht abstreiten könne, obwohl sie es wollte. »Es war eine gemeinsame Bemühung«, sagte sie. »Aber manchmal muß jemand entscheiden, wenn man in einer ausweglosen Situation ist, oder auch nur einem Zwang zur Eile. Und ich war vor der Katastrophe die Chefin von Clarke gewesen.«
    Sie ließ ihr breites Lächeln aufblitzen in der Zuversicht, daß man ihren Bericht genossen hatte. Sax lächelte mit den übrigen und nickte, wenn sie in seine Richtung schaute. Er dachte, sie wäre eine attraktive Frau, aber nicht besonders helle. Oder lag es vielleicht nur daran, daß er sie nicht besonders mochte. Denn gewiß war sie in verschiedener Hinsicht sehr intelligent, eine gute Biologin, als sie auf dem Gebiet gearbeitet hatte, und sicher mit einem hohen Intelligenzquotienten. Aber es gab verschiedene Arten von Intelligenz; und nicht alle ließen sich analytisch testen. Sax hatte in seiner Studentenzeit diese Tatsache erkannt. Es gab Leute, die bei einem Intelligenztest hervorragend abschneiden mochten und sehr gut in ihrer Arbeit waren, die aber gleichzeitig in ein Zimmer voller Menschen treten konnten, wo dann binnen einer Stunde die Leute darin über sie lachten oder sie sogar schmähten. Das war nicht sehr erfreulich. Tatsächlich schienen für Sax etwa die übermütigsten Applaudierer, die zu jedermann freundlich und deshalb allgemein beliebt waren, eine Intelligenz zu praktizieren, die viel subtiler und variabler war als jede Physik, so etwa wie das neu aufkommende Gebiet der Mathematik, das man kaskadierendes Chaos nannte, nur weniger einfach. Es gab also mindestens zwei Arten von Intelligenz und vielleicht noch mehr: räumlich, ästhetisch, moralisch oder ethisch, international, analytisch, synthetisch und so weiter. Und jene Menschen, die auf verschiedene Weise intelligent waren, waren wirklich Ausnahmeerscheinungen, die als etwas Besonderes herausragten.
    Aber Phyllis, die sich in der Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer badete, von denen viele bedeutend jünger waren als sie und, zumindest an der Oberfläche, vor ihrer historischen Erscheinung Respekt hatten - Phyllis war keine jener Vielwisser. Im Gegenteil wirkte sie eher trübe, wenn es darum ging, was die Leute von ihr dachten. Sax, der wußte, daß er diesen Mangel teilte, beobachtete sie mit dem besten Lindholmlächeln, das er aufbringen konnte. Aber es schien von ihrer Seite eine recht eitle Vorstellung zu sein, sogar ein bißchen arrogant. Und Arroganz war immer dumm. Schwer zu erraten, was bei einer so erfolgreichen und attraktiven Person diese Unsicherheit sein könnte. Und attraktiv war sie gewiß.
    Nach dem Abendessen

Weitere Kostenlose Bücher