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Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars

Titel: Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Stanley Robinson
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Deutlichkeit. In ihrem Gesichtsfeld war alles klar, scharf und hell, wie von innen her erleuchtet. Selbst wenn sie so schnell lief, wie sie konnte, und scharf auf den Boden achtete, um nicht über etwas zu stolpern, sah sie immer noch wie ein Nachbild den Bären über den roten Abhang gleiten.
    Stampfen, rennen, ein Felsenballett. Der Bär war schnell, und das Terrain machte ihm nichts aus. Aber auch sie war ein Tier. Auch sie hatte Jahre im Outback des Mars verbracht, tatsächlich viel mehr Jahre als dieser junge Bär; und sie konnte wie ein Steinbock über das Gelände laufen, von Urgestein zu Felsen, zu Sand und zu Geröll. Mit festen, aber wohl ausgeglichenen Schritten, mit Beherrschung des Dahinstürmens und um ihr Leben rennend. Und außerdem war der Rover nah. Nur noch eine letzte Canyonflanke hinauf und den Abhang der Moräne, und da war er. Sie rannte fast dagegen, richtete sich auf und schlug auf die runde Metallflanke mit einem festem triumphierenden Bum, als ob es die Schnauze des Bären wäre. Dann, mit einem zweiten, besser kontrollierten Schlag auf die Konsole der Schleusentür, war sie drinnen, und die äußere Schleusentür schloß sich hinter ihr.
    Sie eilte die Stufen hinauf in den Ausguck des Fahrers, um zurück zu blicken. Durch das Glas sah sie unten den Bären, wie er ihr Fahrzeug aus respektvoller Distanz beäugte. Er war außer Reichweite einer Pfeilwaffe und schnaufte nachdenklich. Ann schwitzte stark, schnappte immer noch heftig nach Luft - ein, aus; ein, aus. Was für Strapazen der Brustkorb doch aushalten konnte! Und da war sie nun im Fahrersitz. Sie brauchte nur die Augen zu schließen, dann sah sie wieder das heraldische Bild des Bären über den Fels gleiten. Wenn sie sie aber öffnete, dann leuchtete vor ihr das Instrumentenbrett, hell, künstlich und vertraut. Ah, so seltsam!
    Noch Tage danach befand sie sich in einer Art Schock und konnte den Eisbären sehen, wenn sie nur die Augen schloß und daran dachte. Bei Nacht dröhnte und grunzte das Eis in der Bucht. Manchmal krachte es explosionsartig, so daß sie von dem Angriff auf Sheffield träumte und selbst stöhnte. Bei Tag fuhr sie so sorglos, daß sie den Rover auf Autopilot schalten konnte und ihn anwies, seinen Weg längs der Küste der Kraterbucht zu finden.
    Während er dahinrollte, ging sie in ausgelassener Stimmung im Fahrerabteil umher. Ohne Kontrolle. Nichts zu tun als zu lachen und es zu ertragen. An die Wände schlagen, aus den Fenstern blicken. Ursus maritimus, Ozeanbär. Die Inuit nannten ihn Tornassuk, >der, welcher Kraft verleiht<. Es war wie mit dem Erdrutsch, der sie in Melas Chasma fast erwischt hatte - jetzt für immer ein Teil ihres Lebens. Als sie mit dem Erdrutsch konfrontiert war, hatte sie keinen Muskel gerührt. Diesmal war sie gerannt wie der Teufel. Der Mars könnte sie töten. Ohne Zweifel würde er sie töten; aber kein großes Zoo-Tier von der Erde würde sie töten, sofern sie es verhindern könnte. Sie war keineswegs so sehr in das Leben verliebt - weit gefehlt. Aber man sollte die Freiheit haben, sich seinen Tod auszusuchen. Wie sie es in der Vergangenheit mindestens zweimal getan hatte. Aber Simon und dann Sax - wie kleine Braunbären - hatten sie dem Tod weggeschnappt. Sie wußte noch nicht, was sie davon halten sollte und wie sie sich deswegen fühlen sollte. Ihre Gedanken eilten zu schnell dahin. Sie hielt sich an der Lehne des Fahrersitzes fest. Schließlich griff sie nach vorn und tastete die alte Nummer von Sax als einem der Ersten Hundert auf dem Armaturenbrett ein, XY23, und wartete darauf, daß der Computer den Ruf zu dem Shuttle weiterleiten würde, mit dem Sax und die anderen zum Mars zurückkehrten. Und nach einer Weile war er da und schaute mit seinem neuen Gesicht aus dem Bildschirm.
    »Warum hast du das getan?« rief sie. »Ich kann mir meinen Tod aussuchen, wie es mir gefällt!«
    Sie wartete, bis die Mitteilung ihn erreichte. Dann war es so weit, und er sprang auf. Sein Abbild wackelte. »Weil...«, sagte er und hielt inne.
    Ann fühlte Kälte. Genau das hatte Simon auch gesagt, nachdem er sie aus dem Chaos hereingezogen hatte. Sie hatten nie einen Grund gehabt - nur das dämliche Weil des Lebens.
    Sax fuhr fort: »Ich wollte nicht... es schien so eine Vergeudung zu sein... was für eine Überraschung, von dir zu hören. Ich freue mich.«
    »Zur Hölle damit!« sagte Ann.
    Sie wollte schon die Verbindung trennen, als er wieder zu sprechen anfing. Sie hatten jetzt

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