Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
tat weh. Ihr Körper war zitternd verkrampft. Aber Michel würde sagen, wenn es vorbei wäre, würde sie sich besser fühlen. Eine Spannung war fort. Die Tektonik des limbischen Systems. Sie haßte die vereinfachten Analogien, wie Michel sie anbot. Die Frau als Planet. Das war absurd. Nichtsdestoweniger saß sie da, schniefte und schaute auf die Eisbucht unter jagenden Wolken. Sie fühlte sich erschöpft.
Es bewegte sich nichts außer den Wolken über ihr und Katzenkrallen auf einem Stück offenen Wassers, Stoß auf Stoß, grau, malvenfarben, grau schimmernd. Wasser bewegte sich, aber das Land blieb reglos.
Endlich stand Ann auf und ging auf einer Rippe aus hartem altem Shishovit, die jetzt eine schmale Trennung zwischen zwei langen Stränden bildete, nach unten. Um die Wahrheit zu sagen - über dem Eis hatte sich an dem urtümlichen Zustand nicht sehr viel verändert. Unten an der Wasserlinie war es anders. Hier hatten die täglichen Winde über dem offenen Wasser Wellen erzeugt, die groß genug waren, um die restlichen Eisstücke zu Packeis zu brechen. In großen Reihen war es jetzt über dem regulären Eisniveau ans Ufer gedrückt worden, und wie Skulpturen aus Strandgut blieb es liegen. Im Sommer hatte dieses Eis geholfen, den Sand der neuen Strände aufzureißen und in ein Gemisch aus Eis, Schlamm und Sand zu verwandeln, das jetzt an Ort und Stelle gefroren war wie brauner Kuchen mit Zuckerguß.
Ann ging langsam durch diesen Schmutz. Dahinter war eine schmale Bucht voller Eisblöcke, die in der Untiefe auf Grund geraten und in der Meeresoberfläche festgefroren waren. Dadurch, daß sie der Sonne und dem Wind ausgesetzt waren, waren diese Blöcke zu barocken Phantasiegebilden aus klarem blauem und undurchsichtigem rotem Eis geworden, wie Artefakte aus Saphir und Hämatit. Die Südseiten der Blöcke waren immer wieder geschmolzen, und das Schmelzwasser war zu Eiszapfen, Eisbärten, Eisflächen und Eissäulen gefroren.
Beim Blick zurück auf die Küste bemerkte sie wieder, wie gefurcht und zerrissen der Sand war. Der Schaden war enorm, die Vertiefungen manchmal zwei Meter tief. Eine unglaubliche Kraft mußte diese Gräben gepflügt haben! Bei dem Flugsand mußte es sich um Löß handeln. Löß bestehend aus lockeren leicht äolischen Ablagerungen. Jetzt war es ein Niemandsland aus gefrorenem Schlamm und schmutzigem Eis, als ob Bomben die Schützengräben einer bedauernswerten Armee verwüstet hätten.
Sie ging weiter und schritt über opakes Eis. Auf der Oberfläche der Bucht.
Wie eine in Samen gepackte Welt. Einmal knackte das Eis unter ihrem Fuß.
Als sie ein gutes Stück auf der Bucht draußen war, blieb sie stehen und schaute sich um. Der Horizont war wirklich eng. Sie stieg auf einen Eisberg mit flachem Gipfel, der ihr eine weitere Sicht über die Eisfläche verschaffte, bis hinaus zu dem Kreis des Kraterrandes, direkt unter den ziehenden Wolken. Obwohl das Eis zerbrochen, verwirrend angeordnet und von Druckspalten gezeichnet war, ließ es dennoch die Flachheit des Wassers darunter erkennen. Nach Norden hin war die Lücke zum Meer augenfällig. Tafelförmige Eisberge ragten wie entstellte Burgen aus dem Eis. Eine weiße Wildnis.
Nach langem vergeblichem Bemühen, die Szene zu verstehen, kletterte sie den Berg hinunter und stapfte wieder zur Küste zurück und dann auf ihren Wagen zu. Als sie die kleine Landzunge überquerte, fiel ihr eine Bewegung unten am Rande des Eises ins Auge. Da bewegte sich etwas Weißes - eine Person in einem weißen Overall - nein. Ein Bär. Ein Eisbär, der an der Eiskante entlangging.
Er erblickte den Wirbel von Möwen über der toten Robbe. Ann duckte sich hinter einem Felsblock und kroch auf eine Stelle mit reifbedecktem Sand. Ihr war auf der ganzen Vorderseite ihres Körpers kalt. Sie blickte über den Stein.
Der elfenbeinfarbene Pelz des Bären war an Flanken und Beinen gelblich. Das Tier hob den schweren Kopf, schnupperte wie ein Hund und schaute sich neugierig um. Es watschelte zum Kadaver der Robbe, ohne die Säule kreischender Vögel zu beachten. Es fraß von der Robbe wie ein Hund aus einem Napf. Dann hob es den Kopf mit dunkelroter Schnauze. Ann hatte Herzklopfen. Der Bär setzte sich auf die Hinterkeulen, leckte eine Pfote und rieb sich das Gesicht, bis es sauber war, gründlich wie eine Katze. Dann ließ er sich auf alle viere nieder und machte sich auf, den Hügel aus Fels und Sand hinaufzusteigen, auf Anns Versteck hinter dem Felsblock zu. Er trottete
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