Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
es regnete in gleichmäßig wiederkehrenden Sintfluten, die alles durchtränkten. Am Tag nach einem solchen Sturm dampfte die Luft, das Land gurgelte und tropfte, und bei jedem Schritt, der keinen festen Stein traf, quietschte Heide, Moor, Sumpf. Knorrige kleine Wälder in den tiefen Gräben. Aus dem Augenwinkel war ein schneller brauner Fuchs zu sehen, der hinter einen Wacholder flitzte. Vor ihm auf der Flucht, vor etwas anderem? Nicht festzustellen. Das war seine persönliche Angelegenheit. Wellen, die an die Meeresklippen stießen und zurückschlugen, bildeten mit den ankommenden Wellen Interferenzmuster, wie sie direkt aus einem physikalischen Wellentank kommen könnten. So schön - und so merkwürdig, daß die Welt mit der mathematischen Formulierung so übereinstimmte. Die irrationale Wirksamkeit der Mathematik steckte im Herzen des großen Unerklärbaren.
Jeder Sonnenuntergang war anders infolge der Schwebeteilchen in der oberen Atmosphäre. Sie stiegen so hoch auf, daß sie oft von der Sonne bestrahlt wurden, wenn bereits alles andere im großen Schatten der Dämmerung lag. Sax saß oft auf der westlichen Meeresklippe, hingerissen durch den Sonnenuntergang. Und dann blieb er während der Stunde der Dämmerung da und beobachtete, wie sich die Farben des Himmels änderten, wenn der Schatten des Planeten aufstieg, bis der ganze Himmel schwarz war. Danach erschienen bisweilen leuchtende Nachtwolken, dreißig Kilometer .über dem Planeten schwebende breite Streifen, die wie Perlmuttschalen schimmerten.
Der zinnfarbene Himmel eines dunstigen Tages. Der blumige Sonnenuntergang in voller Pracht. Die Wärme der Sonne auf der Haut, friedvoll an einem windstillen späten Nachmittag. Die Wellenmuster unten auf dem Meer. Das Gefühl des Windes und sein Anblick.
Aber einmal, inmitten einer Indigodämmerung unter der funkelnden Schar dicker unscharfer Sterne, wurde ihm unbehaglich. »Die schneeigen Pole des mondlosen Mars«, hatte Tennyson gerade ein paar Jahre vor deren Entdeckung geschrieben. Mondloser Mars. Es war in dieser Stunde gewesen, an der Phobos wie ein Leuchtfeuer über dem westlichen Horizont heraufgeschossen war. Ein Moment von Areophanie, wenn es je eine gegeben hatte. Furcht und Schrecken. Und er, Sax, hatte selbst die Entfernung der Satelliten vollendet. Sie hätten jede auf Deimos errichtete Militärbasis hochjagen können. Was hatte er gedacht? Er konnte sich nicht entsinnen. Ein gewisses Verlangen nach Symmetrie - runter, rauf. Aber Symmetrie war vielleicht eine Eigenschaft, die von Mathematikern mehr geschätzt wurde als von den übrigen Menschen. Hinauf. Irgendwo kreiste Deimos immer noch um die Sonne. »Hmm.« Er schaute auf sein Handgelenk. Eine Menge neuer Kolonien entstanden da draußen. Die Menschen höhlten Asteroiden aus und versetzten sie dann in Rotation, um in ihrem Innern eine Schwerewirkung zu erzielen und dann einzuziehen. Neue Welten.
Ein Wort fiel ihm ins Auge: Pseudophobos. Er schaute nach und las: Inoffizieller Name eines Asteroiden, der dem verlorenen Mond irgendwie nach Größe und Gestalt ähnelte. »Hmmm.« Sax tastete weiter und bekam ein Foto. Nun, die Ähnlichkeit war oberflächlich. Ein dreiachsiges Ellipsoid - aber waren das nicht alle? Die Form einer Kartoffel, die richtige Größe, an einem Ende hart verbeult, ein Krater wie Stickney. Es hatte darin eine hübsche kleine Siedlung dieses Namens gegeben. Was bedeutet ein Name? Man sagt, sie hätten das Pseudo fallen lassen. Einige Massenantriebe und Computer, ein Paar seitliche Düsen... der besondere Moment, da Phobos über den westlichen Horizont emporgeschossen war. »Hmmmmm«, brummte Sax.
Tage und Jahreszeiten vergingen. Sax betrieb Feldstudien und Meteorologie. Die Einwirkung atmosphärischen Drucks auf die Wolkenbildung. Das bedeutete Fahrten rund um die Halbinsel, dann ein Marsch, dann hinaus mit den Ballons und Drachen. Wetterballons waren elegante Gebilde. Instrumentenpackungen von weniger als zehn Gramm wurden von einer sechs Meter großen Hülle emporgehoben und waren so imstande, bis in die Exosphäre aufzusteigen.
Sax hatte seinen Spaß, wenn er die Hülle auf einem glatten Stück Sand oder Gras herrichtete, das obere Ende windabwärts von ihm, sich dann hinsetzte und die feine empfindliche Nutzlast in den Fingern hielt und danach den Hahn drehte, dekomprimierten Wasserstoff in den Ballon jagte, und dann zusah, wie er sich füllte und in den Himmel schnellte. Wenn er festhielt, wurde er fast auf die
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