Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
dem anderen die drängenden Probleme der neuen Issei und Nisei aufzeigten und deren schmerzliche Assimilation in die Areophanie - eine Million kleiner Romeos und Julias, eine Million kleiner zerschnittener oder geknüpfter Blutsbande. Das war Mayas bestes Guckfenster in die zeitgenössische Welt und mehr und mehr ihre Art, darauf zu reagieren. Sie tat ihr Bestes, da viele Stücke Diskussionen auslösten, manchmal sogar Wut, wenn neue Stücke seitens der Gruppe die Bewegung gegen die Einwanderung angriffen, die in Mangala immer noch eine Macht darstellte. Es war Politik auf eine völlig neue Art, die befriedigendste, die ihr bisher begegnet war. Sie hatte das Verlangen, Frank davon zu erzählen und ihm zu zeigen, wie es funktionierte.
In jenen Jahren, in denen die Monate paarweise verstrichen, setzte Latrobe eine Menge lebhafter Werke der Klassiker in Szene. Und als Maya sie anschaute, wurde sie immer mehr von der Kraft der Tragödie gefesselt. Ihr gefielen die politischen Stücke, die ängstlich oder hoffnungsvoll zu einem innewohnenden Utopismus, einem Drang nach Fortschritt tendierten. Aber die Stücke, die sie am tiefsten berührten und am meisten bewegten, waren die alten Tragödien der Erde. Und je tragischer, desto besser. Katharsis, wie sie von Aristoteles dargestellt wurde, schien sehr gut auf sie zu wirken. Aus den hervorragenden Vorstellungen der großen Tragödien ging sie erschüttert, geläutert und irgendwie glücklicher hervor. Das war der Ersatz für ihre Gefechte mit Michel, wie sie eines Nachts erkannte. Eine Sublimierung, würde er gesagt haben, und noch dazu eine gute, natürlich leichter für ihn und im ganzen edler und würdiger. Und dann war da auch die Verbindung zu den alten Griechen, eine Verbindung, die auf vielerlei Weise rings um das Hellas-Becken hergestellt wurde, in den Städten und bei den Wilden, ein Neoklassizismus, den Maya als gut für alle empfand, indem sie mit der Rechtschaffenheit der Griechen konfrontiert wurden und sie zu ermessen suchten, ihren unverwandten Blick auf Realität. Die Odyssee, Antigone, Elektra, Medea, Agamemnon (der Klytämnestra heißen sollte) - diese erstaunlichen Frauen, die in bitterer Kraft auf jedwedes seltsame Schicksale reagierten, das ihnen ihre Männer auferlegten und zurückschlugen, wenn etwa Klytämnestra Agamemnon und Kassandra ermordete, wobei sie erst dem Publikum erzählte, wie sie es getan hatte und dann am Schluß ins Auditorium starrte, direkt auf Maya:
»Genug des Elends! Rührt euch nicht!
Unsere Hände sind rot.
Geht heim und gehorcht dem
Schicksal zu seiner Zeit,
Rechtzeitig, ehe ihr leidet! Wir haben
gehandelt, wie wir es mußten.«
Wir haben gehandelt, wie wir es mußten. So wahr, so wahr. Sie liebte die Wahrheit dieser Dinge. Traurige Stücke, traurige Klagelieder, Zigeunertangos, Prometheusgrenze, sogar die jakobinischen Rachestücke - je finsterer, desto besser. Desto wahrer. Sie schuf die Beleuchtung für Titus Andronicus; und die Leute waren angewidert. Sie sagten, es sei ein schieres Blutbad. Und sie hatte wahrlich viele rote Farbtöne verwendet. Aber in dem Moment, da die ihrer Hände und Zunge beraubte Lavinia anzuzeigen suchte, wer ihr das angetan hatte, oder sich hinkniete, um die abgeschlagene Hand von Titus zwischen die Zähne zu nehmen, waren die Zuschauer wie eingefroren. Man konnte nicht sagen, daß Shakespeare nicht von Anfang an das richtige Gefühl für Bühnenkunst gehabt hätte, ob Blutbad oder nicht. Und dann war er mit jedem Stück immer stärker geworden, elektrisierender, finster und wahr, selbst als alter Mann. Maya war in Hochstimmung aus einer langen beseelten Aufführung von King Lear gekommen, erhitzt und lachend. Sie ergriff einen jungen Beleuchter an der Schulter, schüttelte ihn und rief: »War das nicht wundervoll, großartig?«
»Ka, Maya, ich weiß nicht. Ich hätte die restaurierte Fassung vorgezogen, in der Cordelia gerettet wird und Edgar heiratet. Kennst du die?«
»Paah! Dummes Kind! Wir haben heute die Wahrheit erzählt, und darauf kommt es an! Du kannst am Morgen wieder zu deinen Lügen zurückkehren.« Mit rauhem Lachen stieß sie ihn wieder zu seinen Freunden vom Beleuchtungsteam. »Närrische Jugend!«
Er erklärte seinen Freunden: »Das ist Maya.«
»Toitovna? Die in der Oper?«
»Ja, aber real.«
»Real«, äffte Maya ihm nach und scheuchte sie fort. »Ihr wißt ja gar nicht, was real ist.« Und sie fühlte das, was sie sagte.
Und Freunde kamen auf eine oder zwei Wochen
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