Mars-Trilogie 3 - Blauer Mars
an der Küste ein frühes Abendessen einnahm. Im Herbst legte eine kleine Schiffsflotte am Pier an, legte Gangplanken zwischen den Booten und veranstaltete gegen Eintrittsgebühr ein Weinfest mit Feuerwerk über dem Wasser nach Einbruch der Dunkelheit. Im Winter wurde es auf dem Wasser früh dunkel, und das Wasser an der Küste war manchmal mit Eis bedeckt und schimmerte in Pastelltönen von jeder Farbe, die an dem betreffenden Abend gerade der Himmel aufwies. Eisläufer und schnelle flache Eisboote punkteten die Küste.
Als sie in einer Dämmerungsstunde allein beim Essen war, führte eine Theatertruppe den Kaukasischen Kreidekreis in einer benachbarten Allee auf. Zwischen der Dämmerung und den Lichtflecken auf den Planken der improvisierten Bühne war das Licht so anheimelnd, daß Maya davon angezogen wurde wie eine Motte. Sie folgte der Handlung kaum; aber einige Momente trafen sie sehr stark, besonders die Verdunklungen, wenn das Spiel anhalten mußte und die Schauspieler in dem späten Licht auf der Bühne einfroren. Nur dachte sie, daß dieser Moment etwas Blau gebrauchen könnte, um perfekt zu sein.
Danach kam die Theaterkompanie ins Restaurant herüber, um zu essen. Maya sprach mit der Direktorin, einer eingeborenen Frau mittleren Alters namens Latrobe, die interessiert war, sie kennenzulernen, über das Spiel und über Brechts Theorie des politischen Theaters. Latrobe erwies sich als terrafreundlich und war für Einwanderung. Sie wollte Bühnenstücke haben, die für einen offenen Mars eintraten und die neuen Immigranten in die Areophanie integrierten. Sie sagte, es sei erschreckend, wie wenige Stücke des klassischen Repertoires solche Gefühle unterstützten. Sie brauchten neue Stücke. Maya erzählte ihr von Dianas politischen Abenden in den UNTA-Jahren und wie sie sich manchmal in den Parks getroffen hatten. Und über ihre Meinung hinsichtlich des Blaus in der Aufführung dieses Abends. Latrobe lud Maya ein, mit ihr zu kommen und zu der Truppe über Politik zu sprechen und auch, falls sie wollte, beim Licht zu helfen, das in der Truppe ein schwacher Punkt war. Die Leute stammten aus denselben Parks, in denen Dianas Gruppe sich seinerzeit zu treffen pflegte. Vielleicht könnten sie dort wieder hinausgehen und noch mehr Brechtsches Theater spielen.
Maya kreuzte dort auf und redete mit der Truppe und wurde im Laufe der Zeit, ohne es eigentlich vorzuhaben, ein Mitglied des Beleuchtungsteams. Sie half auch bei den Kostümen, was auf andere Art auch Modefragen betraf. Sie sprach in den Nächten lange zu ihnen über den Begriff eines politischen Theaters. Sie war praktisch eine politisch-ästhetische Beraterin. Aber sie widerstand beharrlich allen Bemühungen, sie auf die Bühne zu bringen, nicht nur seitens der Kompanie, sondern auch von Michel und Nadia. Sie sagte: »Nein. Das will ich nicht machen. Sonst würde man sofort wollen, daß ich die Maya Toitovna spiele in jenem Stück über John.«
»Das ist eine Oper«, sagte Michel. »Du müßtest dazu eine Sopranstimme haben.«
»Trotzdem.«
Sie wollte nicht auftreten. Das tägliche Leben war ihr genug. Aber sie genoß die Welt des Theaters. Das war ein neuer Weg, an Menschen heranzukommen und ihre Wertvorstellungen zu ändern, weniger anstrengend als der direkte Einsatz von Politik, unterhaltsamer und vielleicht in mancher Hinsicht sogar wirksamer. Theater bedeutete in Odessa eine Macht. Das Kino war eine ausgestorbene Kunst; die ständige unablässige Übersättigung mit Schirmbildern hatte alle Bilder gleich langweilig werden lassen. Was die Bürger zu mögen schienen, war Unmittelbarkeit und das Risiko einer spontanen Aufführung, der Moment, der nie wiederkehren und nie der gleiche sein würde. Theater war wirklich die stärkste Kunst in der Stadt; und dasselbe galt auch für viele andere Städte auf dem Mars. Darum führte die Truppe von Odessa im Verlauf der Jahre jede Menge politischer Stücke auf, darunter einen vollständigen Werkszyklus des Südafrikaners Athol Fugard - heiße, leidenschaftliche Stücke, in denen institutionalisierte Vorurteile und die Fremdenfeindlichkeit der Seele analysiert und gegeißelt wurden. Die besten Stücke in englischer Sprache, wie Maya meinte. Und dann war die Truppe behilflich bei der Entdeckung und Bekanntmachung von dem, was später die Odessa-Gruppe genannt wurde, einem halben Dutzend junger eingeborener Stückeschreiber, die so leidenschaftlich waren wie Fugard, Männer und Frauen, die in einem Stück nach
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