Mars
hinauszuwagen, hatte sie den Sommer auf einer Ferienranch in den Bergen des nördlichen New Mexico verbracht. Dort hatte sie Jerome Waterman kennengelernt, einen jungen Navajo, der alles daransetzte, Lehrer für Geschichte zu werden. »Für die wahre Geschichte«, hatte Jerry Waterman ihr erklärt, »die wahren Tatsachen über die amerikanischen Ureinwohner und das, was die europäischen Eindringlinge ihnen angetan haben.«
Sie verliebten sich hoffnungslos und leidenschaftlich ineinander. So sehr, daß Lucille, die bisher kaum über einen Beruf nachgedacht hatte, ebenfalls ins akademische Leben eintrat. So sehr, daß die beiden trotz der offenkundigen Bedenken von Lucilles Eltern heirateten.
Jerry Waterman schrieb seine Geschichte der amerikanischen Ureinwohner, und sie wurde schlie ß lich zum ma ß geblichen Text auf den entsprechenden Literaturlisten von Universit ä ten im ganzen Land. Erfolg, Ehe, das Ruhepolster eines verl äß lichen Einkommens, das isolierte Leben der akademischen Welt – all das bewirkte eine Art Reifeproze ß , und schlie ß lich war er derart gesetzt, da ß Lucilles Eltern ihn beinahe als Gatten ihrer Tochter akzeptieren konnten. Und Jerry Waterman stellte fest, da ß er akzeptiert werden wollte. Es war wichtig f ü r Lucille. Es wurde auch wichtig f ü r ihn.
Lucille machte ihren Doktor in englischer Literatur, und dann bekamen sie ein Baby: James Fox Waterman. Das › Fox ‹ war ein alter Zuname aus Lucilles Clan m ü tterlicherseits. Obwohl er es nicht wissen konnte, war Jamie der Enkel, der die wahre Auss ö hnung der New England-Sippe mit ihrem Navajo-Schwiegersohn zustandebrachte.
Lucille klammerte sich im Eingang ihres Hauses in Berkeley an Jamie, als ob sie ihn nie wieder loslassen wollte. Dann erschien sein Vater und l ä chelte gelassen hinter seiner Pfeife hervor.
Niemand h ä tte in Professor Jerome Waterman den hitzigen jungen Verfechter der Geschichte der amerikanischen Ureinwohner wiedererkannt. Sein Haar war eisengrau und wurde so sch ü tter, da ß er es nach vorn k ä mmte, um seine hohe Stirn zu bedecken. Sein Gesicht zeigte, wie das von Jamie vielleicht in drei ß ig Jahren aussehen w ü rde: fleischig und aufgedunsen von einem geruhsamen Leben. Brille mit dunklem Rahmen. Sporthemd mit offenem Kragen, das Herstellerlogo diskret auf die Brust gestickt. In Jerry Watermans dunklen Augen brannte kein Feuer mehr. Es war lange her, da ß er in einen h ä rteren Kampf verwickelt gewesen war als in einem Streit mit einem Dekan ü ber die Gr öß e der Seminare. Er hatte die K ä mpfe seiner Jugend gewonnen und war seinen ehemaligen Feinden mit den Jahren ä hnlicher geworden, als er sich selbst gegen ü ber zugeben konnte.
» Ich kann nur bis morgen bleiben « , waren Jamies erste Worte an seine Eltern.
» Am Telefon hast du gesagt, sie w ü rden dich zum Mars schicken? « Seine Mutter wirkte eher ä ngstlich als stolz.
» Ich glaube ja. Es sieht so aus. «
» Wann wei ß t du es genau? « fragte sein Vater.
Sie gingen mit ihm in die von B ü chern ges ä umte Bibliothek. Ein hoher Azaleenbusch vor dem Fenster, der die Fundamente des Hauses eines Tages zu unterminieren drohte, sperrte die grelle Sonne aus.
» Am Montag, sch ä tze ich. Sobald sie ihre endg ü ltige Entscheidung getroffen haben, werde ich nicht mehr weg k ö nnen. «
Das Haus sah noch weitgehend genauso aus, wie Jamie es in Erinnerung hatte: behaglich, unordentlich, ü berall B ü cher und Zeitschriften, aufgepolsterte Sessel und mit Chintz bezogene Sofas mit den Abdr ü cken der K ö rper seiner Mutter und seines Vaters. Mama B ä r hat ihren Sessel und Papa B ä r seinen, erinnerte sich Jamie aus seiner Kindheit.
Angespannt und nerv ö s setzte er sich auf den Rand des Sofas in der Bibliothek. Mama und Papa nahmen in ihren jeweiligen Sesseln ihm gegen ü ber Platz.
» Willst du wirklich fliegen? « fragte seine Mutter zum tausendsten Mal in den letzten vier Jahren.
Jamie nickte.
»Ich dachte, sie hätten sich für den Priester entschieden«, sagte sein Vater.
» Er hatte eine Gallenblasenkolik. Zuviel Wein vermutlich. «
Keiner von ihnen l ä chelte auch nur.
Der Nachmittag und der Abend zogen sich z ä h dahin. Jamie sah, da ß seine Mutter nicht wollte, da ß er flog, da ß sie verzweifelt nach einem Argument, einem Grund suchte, ihn in ihrer N ä he behalten zu k ö nnen, wo er in Sicherheit war. Seinen Vater schien die ganze Sache zu verwirren; er freute sich, da ß sein Sohn
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