Marschfeuer - Kriminalroman
Kollege– der zweite Arbeiter– ihm die Arme auf den
Rücken drehte und die Handgelenke in Handschellen verpackte. Und es war dieser
kurze Schmerz, der ihm klarmachte, dass dies die Realität war. Es war aus. Alles
war zu Ende. Der Kampf um sein Leben als Mann. Als anerkannter, geachteter, bis
an seine Leistungsgrenzen arbeitender Mann. Sein Familienleben war zu Ende. Er
würde Markus nicht in einem neuen Leben in Brasilien wiedersehen. Nein, wenn
sein Sohn ihn überhaupt noch einmal sehen wollte, dann würde es in einer Zelle
sein. Hinter Gittern. Eingesperrt. So, wie sein Ich immer eingesperrt gewesen
war.
Aber auch die
Verzweiflung war jetzt zu Ende. Der kalte Stahl an seinen Handgelenken brachte
auch Erlösung. Von Schuld. Paul Lindmeir straffte die Schultern und sah Hendrik
Wolff an. »Wie haben Sie es herausgefunden?«
»Ein Artikel über
Seepiraterie. Heutzutage werden bereits Container-Schiffe mit einem Panic Room ausgestattet, in den sich die Mannschaft bei
einem Überfall zurückziehen kann. Was lag also näher, als zu vermuten, dass
›der Brasilianer‹ sich in seine Megajacht auch einen Fluchtraum hat bauen
lassen?«
»Aber er war in den
Jachtbau-Plänen nicht verzeichnet.«
»Das haben wir auch
festgestellt.« Der Kommissar nahm das Käppi mit dem Emblem des brasilianischen
Fußballclubs EC Bahia ab. »Manchmal muss man sich
einfach auf sein Bauchgefühl verlassen. In diesem Fall auf das des Staatsanwalts.
Er freut sich schon auf Sie, Herr Lindmeir.«
»Was passiert jetzt mit
mir?«
»Heute Nacht lernen Sie
die Vorzüge eines brasilianischen Gefängnisses kennen. Und morgen geht’s im
Flieger zurück nach Deutschland. Und jetzt Abmarsch.«
Paul Lindmeir spürte, wie
sich die Finger des Kommissars in seinen Oberarm bohrten. »Ich habe Rechte,
Herr Wolff. Ich will mit meinem Anwalt in Deutschland telefonieren … Und lassen
Sie meinen Arm los. Ich bin in der Lage, selbstständig zu gehen.«
»Jetzt pass mal gut auf,
Lindmeir!«
Paul Lindmeir zuckte
zusammen, als sich die Hand des anderen Beamten um seinen linken Arm krallte
und der ihn gemeinsam mit Wolff Richtung Polizeiwagen, der am Rand des Steges
vorfuhr, bugsierte.
»Deine Rechte kannst du
dir hier in Südamerika sonst wo hinstecken«, fuhr der Beamte fort, »du kannst
dich freuen, wenn wir dich morgen mit zurück nach Deutschland nehmen. Dann
darfst du irgendwann mal mit deinem Anwalt telefonieren. Und jetzt halt die
Fresse.« Er presste den Kopf des Werft-Geschäftsführers unsanft hinunter,
nachdem er die Tür des Streifenwagens geöffnet hatte, und drückte Paul Lindmeir
hinein.
»Halt dich ein bisschen
zurück, Thilo«, klang die Stimme von Hendrik Wolff dumpf durch die geschlossene
Wagentür zu Paul Lindmeir. »Wir sind nicht Starsky und Hutch. Würde Meier jetzt
sagen.«
»’n Scheißdreck tu ich«,
war die Antwort. »Dir hat der Kerl doch sogar deinen Geburtstag versaut. Den
hättest du gestern bestimmt lieber mit unserer entzückenden Kollegin verbracht,
als hier in Dauer-Lauerstellung putzend auf dem Steg, oder? … Und wenn er uns
noch mal blöd kommt, zieh ich ihm ein Kleid an.«
Paul Lindmeir schloss
die Augen. Menschen wie dieser Mann waren der Grund für das, was er getan
hatte. Diese Menschen waren die wahren Schuldigen am Tod von Hinrich.
***
»Bravouröse Aktion,
Knebel! Und alles ohne die Kollegen vom LKA . Ich
bin ein bisschen stolz auf mich«, lobte Staatsanwalt Meier sich selbst, während
er Wilfried Knebel nach dem Frühgespräch aus dem Besprechungszimmer folgte.
Lyn ging hinter den beiden
und verdrehte die Augen, als Meier jetzt auch noch seinen Arm um Wilfrieds
Schulter legte. Sie ging schnurstracks in ihr Büro und schloss die Tür. Noch
mehr Eigenlobhudeleien von Meier wollte sie sich nicht anhören, auch wenn sie
seine Freude über den Fang in Brasilien gänzlich teilte.
Hendrik hatte sie in der
Nacht mit einem Anruf geweckt und aufgeregt von der Festnahme Lindmeirs
berichtet. Seufzend ließ sie sich auf ihren Schreibtischstuhl sinken. Seine
Abreise nach Brasilien hatte das Aufeinandertreffen von Charlotte und Sophie
mit ihm– das erste Mal als ihr Freund– verhindert.
Dass sie es nicht
bedauerte, sondern, im Gegenteil, froh darüber war, hatte sie ihm natürlich
nicht erzählt. Auch nicht, dass Charlotte einen hysterischen Lachanfall
bekommen hatte, nachdem sie ihren Töchtern endlich von Hendrik erzählt hatte.
Dass dem hysterischen Lachanfall ein ätzendes »Na, wenn du dich
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