Marschfeuer - Kriminalroman
versuchte, sie zu begründen, und buhlte bei
seinem Sohn um ein wenig Verständnis vor dem Hintergrund seiner
Lebensgeschichte, die er hier ebenfalls aufgeschrieben hatte.
»Hier!« Lyn fuhr
zusammen, als Markus plötzlich die letzte Seite seines Briefes wieder an sich
riss. »Haben Sie gesehen, was er im letzten Satz schreibt?« Seine Stimme
veränderte sich, als er zitierte: »›Wir sehen uns wieder, Markus, in einem
anderen Leben! Das verspreche ich dir. In Liebe, dein Papa‹.« Seine weit
aufgerissenen braunen Augen starrten sie an. »Er glaubt, dass wir uns in der
Hölle wiedersehen. Und soll ich Ihnen was sagen? Er hat recht.« Er ließ die Seite
angeekelt fallen und begann wieder zu weinen.
Lyn fühlte sich hilflos.
Es war sein gutes Recht, verzweifelt zu sein und seinen Vater zu verteufeln.
»Wir werden in genau einer Stunde von Bord gehen, Markus. Ich kann Sie nicht
zwingen, uns zu begleiten. Wir haben hier keine Handhabe, dies sind
internationale Gewässer, aber der Kapitän–«
»Glauben Sie, ich will
hierbleiben?« Markus unterbrach sie erschrocken. »Ich … ich will nach Hause.«
Lyn nickte. »Natürlich.
Bleiben Sie in Ihrer Kabine und packen Sie Ihre Sachen. Ich hole Sie in einer
Stunde ab.«
»Wir haben alle Räume
durchsucht«, sagte der ältere Wasserschutzbeamte zu Lyn. »Ist doch enorm, was
man in einer Stunde schaffen kann, wenn man muss.« Sie hatten die Durchsuchung
des Schiffes beendet und warteten auf Hendrik, der noch die Toilette aufgesucht
hatte.
»Ist das nicht ein
Hammer-Schiff?« Hendrik und sein brasilianischer Begleiter trafen als Letzte an
Deck ein. »Hast du den Mini-Springbrunnen gesehen, Lyn? Und den Marmor?« Seine
Augen leuchteten.
Lyn verzog die Lippen.
»Mir ist das alles viel zu protzig und prunkig. Die Gemälde, die hier
rumhängen, passen eher in ein altes Schloss als auf so ein hochmodernes
Schiff.«
»Mit einem dieser
Gemälde könntest du wahrscheinlich dein Haus bezahlen«, sagte Hendrik. Dann
wurde er sachlich. »Ist der Junge schon drüben?« Er nickte Richtung Küstenboot
der Wasserschutzpolizei. »Und hast du die Briefe?«
Sie nickte. »Markus
wartet an Bord der ›Helgoland‹. Ich habe sämtliche Habseligkeiten von Paul
Lindmeir zusammengepackt. Wir können also starten.«
»Nun, haben Sie einen
lebendigen Lindmeir gefunden?« Kapitän Ferreira war von hinten an sie
herangetreten, die Augenbrauen spöttisch hochgezogen.
»Einen Selbstmord kann
man durchaus fingieren. Sie verstehen also, dass wir uns davon überzeugen
mussten, dass das in diesem Fall nicht so ist.« Hendriks Gesichtsausdruck stand
dem von Ferreira an Arroganz in nichts nach. »Wir entschuldigen uns für die
Unannehmlichkeiten und danken für Ihre große Hilfsbereitschaft.«
»Cooler Schlusssatz, mein
Held«, flüsterte Lyn Hendrik zu, während sie von Bord der »a rainha« gingen,
»hätte allerdings noch mehr Stil gehabt, wenn du den Kollegen vom Wasserschutz
nicht hättest bitten müssen, die ›Unannehmlichkeiten‹ ins Englische zu übersetzen.«
»Nobody
is perfect.«
NEUNZEHN
»Jetzt ist Lindmeir seit
einer Woche Fischfutter und die Zeitungs-Fritzen graben immer noch jede Menge
neue Fotos aus. Wo die die immer herhaben, wird mir auf ewig ein Mysterium
bleiben«, grummelte Karin Schäfer und legte die Bild-Zeitung nach einem letzten
Blick in die Mitte des Besprechungszimmertisches.
Lyn zog die Zeitung zu
sich heran. Neben einem aktuellen Foto von Paul Lindmeir war eine Fotografie
aus Kindertagen abgebildet. Die kleine, höchstens zweijährige Paula Lindmeir
lachte– mit Zöpfchen und Kleid– auf einem Spielplatz neben einem weiteren Kind
in die Kamera.
»Gibt doch immer gute
Freunde und Bekannte, die in solchen Fällen nur zu gern ihre Fotoalben aus dem
Schrank reißen«, kommentierte Hendrik.
»Mir tut es für Markus
Lindmeir leid«, sagte Lyn und schob die Zeitung zu Thilo weiter. »Ich kann nur
hoffen, dass er darauf verzichtet, all diese Zeitungsartikel zu lesen.« Sie
griff nach der Norddeutschen Rundschau.
»Wobei ich den Gag mit
der Trans -Atlantik-Überquerung von Lindmeirs Leiche
ziemlich gelungen fand … Jaaa, schon gut, ich sag ja nichts mehr.« Thilo
Steenbuck hob abwehrend die Hände, als die Frauen ihn mit ihren Blicken
erdolchten. »Können wir jetzt Feierabend machen? Tessa hat schon ‘ne
Personenbeschreibung von mir im Flur aufgehängt, damit die Kinder mich
erkennen, wenn ich nach Hause komme.«
»Feierabend ist eine
gute Idee«, gab Wilfried
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