Marschfeuer - Kriminalroman
sie gleich wieder gegangen, als feststand,
dass Herr Pankratz nicht da war?«
Sarah sagte einen Moment
nichts. Dann flüsterte sie. »Sie haben seinen Korn mitgenommen. Eine
angebrochene Flasche … Sie war nur noch halb voll«, fügte sie hinzu, als wolle
sie damit die Tat rechtfertigen.
»Von einem Zeugen wissen
wir, dass ihr Waldemar Pankratz manchmal geärgert habt.« Lyn verpackte den
Vorwurf in ein Lächeln. »Waren Ruben und Jan-Ole da auch die treibenden
Kräfte?«
Sarah pustete sich
angestrengt eine Strähne aus dem Gesicht. »Ruben eigentlich nicht. Nur Jan-Ole
und Kevin. Kevin Holzbach.«
»Danke, Sarah, mehr
Fragen habe ich im Moment nicht. Du kannst mir dann …«, Lyn blickte auf ihre
Liste, » …Ruben Schinkel hereinschicken.«
Das junge Mädchen stand
schleunigst auf und verschwand durch die Tür.
Lyn starrte auf ihren
Notizblock. War Hühner-Waldi in den vergangenen beiden Nächten gar nicht da
gewesen, oder war er erst spät, nachdem die Jugendlichen den Container
verlassen hatten, nach Hause gekommen?
»Ich bin Ruben. Ruben
Schinkel«, stellte sich zwei Minuten später ein kleiner, kräftiger Teenager mit
vor Aufregung knallroten Wangen vor.
»Harms«, machte Lyn sich
bekannt und gab ihm die Hand. »Setz dich bitte, Ruben.«
Er kaute ununterbrochen
an seinen Fingernägeln, während sie seine Personalien aufnahm. Schweigend hörte
sie anschließend seiner Schilderung des vergangenen Abends zu.
»Du warst also mit Jan-Ole
Sturm in der Hütte von Waldemar Pankratz?«, ließ sie sich noch einmal
bestätigen, als er ruhig wurde. »An den beiden vergangenen Abenden?«
Sofern möglich,
vertiefte sich das Rot seiner Wangen noch. »Ja … aber großes Ehrenwort: Wir
haben wirklich nichts gemacht …« Seine Stimme wurde leiser. »Außer den Korn
mitgenommen.«
»Du sagtest, die Flasche
war halb leer«, fuhr Lyn fort. »Wie war es denn an dem Abend vorher? Stand die
Flasche da am gleichen Platz? War sie voller?«
Ruben Schinkel
schüttelte den Kopf. »Nee, die war da auch halb voll. Am ersten Abend haben wir
uns noch nicht getraut … Na ja, als Waldi dann am nächsten Abend immer noch
nicht da war, haben wir sie eben eingesackt.«
»Hattest du gestern
Abend das Gefühl, dass Waldemar Pankratz in den vergangenen Tagen in seiner
Hütte gewesen ist? Gab es irgendwelche Veränderungen an den beiden Abenden, als
ihr da wart? Überleg gut!«
Er winkte ab. »Nee. Ganz
bestimmt war der nicht da. Auch tagsüber nicht, würd ich sagen. Da war nix
verändert. Darum haben wir uns ja getraut, die Pulle zu nehmen.«
»Okay, Ruben. Das wäre
im Moment alles.«
Lyn lächelte über seine
nicht existenten Fingernägel, als er das Protokoll unterschrieb. »Ich … also …
Sie glauben doch nicht, dass ich den Waldi … also die Hütte …«, stammelte er, als
Lyn ihn verabschiedete.
»Nein, Ruben«,
versicherte Lyn ihm. »Und jetzt schick mir den Nächsten rein.«
Als sich die Tür hinter
ihm schloss, überflog sie noch einmal die Aussagen der beiden Jugendlichen.
Sarah hatte, genau wie Ruben, angegeben, dass nur zwei Jungen aus ihrer Clique
dem alten Waldemar in der Gartenkolonie Streiche gespielt hatten. Jan-Ole Sturm
und Kevin Holzbach.
Als es an der Tür
klopfte, legte Lyn die Aussagen in einen Ordner und nahm ein neues Blatt zur
Hand. »Herein.«
Ein groß gewachsener,
schlaksiger Junge trat ein. Als er sich setzte, wusste Lyn bereits, dass sie
ihn nicht mochte. Seine hellblauen Augen musterten sie auf eine unangenehme Art
unter seinem überlangen Pony heraus.
»Wie ist Ihr Name?«,
fragte Lyn. Sie siezte ihn automatisch. Er war kein Kind mehr.
»Kevin Holzbach.«
Lyn nahm seine
Personalien auf. Er war achtzehn Jahre alt und auf der Beidenflether Werft in
der Ausbildung zum Mechatroniker. Während sie schrieb, musterte sie ihn aus dem
Augenwinkel. Er tat gelangweilt und starrte die Regale mit den Feuerwehrpokalen
an. Sein Profil offenbarte eine lange, leicht höckerige Nase. Zweifellos war
sie schon einmal gebrochen gewesen.
Lyn wurde schlagartig
klar, dass sie Gonzo vor sich hatte, den Freund von Charlottes Freundin Jana. Seinen
Spitznamen hatte er mit Sicherheit dem Sesamstraßen-Gonzo mit der hässlichen
Nase zu verdanken.
»Sie waren gestern im
Jugendcontainer, Herr Holzbach. Wie lange haben Sie sich dort aufgehalten?«
»Bis zum Schluss. Um
zweiundzwanzig Uhr dreißig müssen wir raus sein. Bedingung vom Bürgermeister.
Damit die bösen Jugendlichen in der Nacht nicht seine lieben
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