Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
eine schöne, begehrenswerte Frau. Feine Fältchen in den Augenwinkeln, ihre einzigen Falten, machten sie noch verführerischer. Aber irgend - etwas ging von ihr aus, das mich störte. Seit dem Moment, als sie sich aus meinen Armen befreit hatte. Sie schien einer Welt anzuge - hören, in die ich nie einen Fuß gesetzt hatte. Eine ehrbare Welt. Wo es mitten auf dem Golfplatz nach Chanel Nr. 5 riecht. Wo ohne Ende Kommunion, Verlobung, Hochzeit, Taufe gefeiert wird. Wo alles voller Harmonie ist, bis hin zu den Daunendecken, Nachthemden und Puschen. Und die Freunde, Menschen von Welt, die man ein - mal im Monat zum Essen einlädt und die sich auf gleiche Weise revanchieren. Ich hatte einen schwarzen Saab vor meiner Tür parken sehen und war bereit, zu wetten, dass Gélous graues Kostüm nicht von der Stange kam.
Seit Ginos Tod hatte ich wohl einige Phasen im Leben meiner schönen Cousine verpasst. Ich brannte darauf, mehr von ihr zu erfahren, aber das war nicht der richtige Weg für den Anfang.
»Guitou hat seit dem Sommer ei ne Freundin. Einen Flirt halt. S ie hatte mit ein paar Freunden am Stausee von Serre-Ponçon gezeltet. Er hat sie auf einem Dorffest kennen gelernt. In Manse glaube ich. Solche Feste mit Tanz und allem finden auf den Dörfern den ganzen Sommer über statt. Von dem Tag an waren sie unzertrennlich.«
»Das ist das Alter.«
»Schon. Aber er ist erst sechzehneinhalb. Und sie achtzehn, ver - stehst du.«
»Nun, dein Guitou muss ein hübscher Junge sein«, sagte ich im Scherz.
Immer noch kein Lächeln. Sie war nicht aufzuheitern. Die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Es gelang mir nicht, sie zu beruhigen. Sie griff nach der Tasche zu ihren Füßen. Eine teure Tasche. Sie nahm eine Brieftasche heraus, öffnete sie und reichte mir ein Foto. »Das war beim Skilaufen, letzten Winter. In Serre-Chevalier.«
Sie und Guitou. Dünn wie eine Bohnenstange, war er gut einen Kopf größer als sie. Lange, wirre Haare fielen ihm ins Gesicht. Ein fast weibliches Gesicht. Gélous Gesicht. Und das gleiche Lächeln. Neben ihr wirkte er verlegen. Während sie Selbstsicherheit und Entschlossenheit ausstrahlte, wirkte er nicht zart, sondern zerbrech - lich. Ich sagte mir, dass er ein Nachzügler war, das Nesthäkchen, das sie und Gino nicht mehr erwartet hatten, und dass sie ihn noch und noch verwöhnt haben musste. Was mich überraschte, war, dass nur sein Mund lächelte, nicht seine Augen. Sein im Nirgendwo verlorener Blick war traurig. So wie er die Skier hielt, schien er sich maßlos zu langweilen. Das sagte ich Gélou aber nicht.
»Ich bin sicher, dass er dir mit achtzehn auch das Herz gebrochen hätte.«
»Findest du, dass er Gino ähnlich sieht?«
»Er hat dein Lächeln. Schwer zu widerstehen. Du kennst das ... «
Sie ging nicht auf die Andeutung ein. Vielleicht wollte sie nicht. Sie zuckte die Schultern und steckte das Foto wieder weg. »Guitou setzt sich schnell etwas in den Kopf, verstehst du.
Er ist ein Träumer. Ich weiß nicht, von wem er das hat. Er kann stundenlang lesen. Von Sport hält er gar nichts. Die kleinste An - strengung scheint ihn Mühe zu kosten. Marc und Patrice sind n icht so. Sie sind ... praktischer. Stehen mit beiden Beinen auf der Erde.«
Das konnte ich mir vorstellen. Realistisch, sagt man heute.
»Wohnen Marc und Patrice bei dir?«
»Patrice ist verheiratet. Seit drei Jahren. Er leitet eins meiner Geschäfte in Sisteron. Mit seiner Frau. Es geht ihnen wirklich gut. Marc ist seit einem Jahr in den Vereinigten Staaten. Er studiert Tou - rismus. Vor zehn Tagen ist er zurückgeflogen.« Sie hielt nachdenk - lich inne. »Sie ist Guitous erste Freundin. Jedenfalls die erste, von der ich weiß.«
»Hat er dir von ihr erzählt?«
»Nach ihrer Abfahrt am 15. August haben sie andauernd telefoniert. Von morgens bis abends. Abends dauerte es stundenlang. Das fing an, ins Geld zu gehen! Wir mussten wohl oder übel darüber reden.«
»Was hast du denn gedacht? Dass es einfach so aufhört? Ein letzter Kuss und tschüss, auf Wiedersehen?«
»Nein, aber ...«
»Du glaubst, dass er hergekommen ist, um sie zu sehen. Hab ich Recht?«
»Ich glaube es nicht, ich weiß es. Erst wollte er, dass ich seine Freundin übers Wochenende zu uns einlade, und ich habe mich geweigert. Dann wollte er meine Erlaubnis, sie in Marseille zu besuchen, und ich habe Nein gesagt. Er ist zu jung. Außerdem fand ich das so kurz vor Schulbeginn nicht gut.«
»Findest du es jetzt besser?«, fragte ich und stand
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