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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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, weiße Espadrilles. Schön aufrecht mit meinen einsfünfundsiebzig und die Hände in den Taschen eines blaugrauen Blousons. Honorine hatte mich sehr elegant gefunden. Ich hatte ihr nichts von dem Zeitungs - artikel erzählt. Für sie und Gélou machte ich mich auf die Suche nach Guitou.
    Unsere Augen begegneten sich, und ich hielt ihrem Blick stand, ohne ein Wort zu sagen. Ihre Miene wurde hart.
    »Ich höre«, sagte sie mit schneidender Stimme.
    »Wir könnten uns ebenso gut drinnen unterhalten.«
    »Worum geht es?« Trotz ihrer gewohnten Selbstsicherheit war sie in der Defensive. Nach einem Wochenendausflug zwei Leichen bei sich zu Hause vorgefunden zu haben, machte sie nicht gerade gast - freundlicher. Und auch wenn ich mir mit meiner Kleidung Mühe gegeben hatte, sah ich mit meinen schwarzen, leicht welligen Haaren und meinem matten, fast dunklen Teint wie ein Mischling aus. Der ich ja auch war.
    »Um Mathias«, sagte ich so einfühlsam wie möglich. »Und um seinen Freund, mit dem er die Sommerferien verbracht hat. Guitou. Der tot bei ihnen gefunden wurde.«
    Ihr ganzes Wesen verschloss sich. »Wer sind Sie?«, stammelte sie, als ob die Worte ihr den Mund verbrannten.
    »Ein Angehöriger.«
    »Kommen Sie rein.« Sie zeigte auf eine Treppe am Ende der Ein - gangshalle und trat zur Seite, um mich durchzulassen. Nach ein paar Schritten blieb ich vor der ersten Stufe stehen. Der Stein ‒ ein wei ßer Stein aus Lacoste, wo der Marquis de Sade ein Schloss hatte ‒ war von Guitous Blut durchtränkt. Ein dunkler Fleck blockierte die Stufe wie ein Trauerflor. Auch der Stein trug Schwarz.
    »Ist es da?«, fragte ich.
    »Ja«, murmelte sie.
    Bevor ich mich zum Handeln entschloss, hatte ic h lange aufs M eer geschaut und mehrere Zigaretten geraucht. Ich wusste, was ich tun würde und in welcher Reihenfolge, aber ich fühlte mich schwer. Wie aus Blei. Ein Zinnsoldat. Der darauf wartete, von einer Hand in Bewegung gesetzt zu werden. Und diese Hand war das Schicksal. Das Leben, der Tod. Vor dieser Hand gab es kein Entkommen. Für niemanden. Zum Besseren oder zum Schlimmeren.
    Das Schlimme war das, was ich am besten kannte.
    Ich hatte Loubet angerufen. Ich kannte seine Gewohnheiten. Er war ein harter Arbeiter und Frühaufsteher. Es war halb neun, und er hob beim ersten Klingeln ab.
    »Hier ist Montale.«
    »Oh! Ein Wiederauferstandener! Schön, von dir zu hören.«
    Er war einer der wenigen, die bei meinem Abschied selber für ihr Getränk bezahlt hatten. Ich hatte es aufmerksam registriert. Das Begießen meiner Kündigung enthüllte Spaltungen innerhalb der Polizei genauso wie jede Gewerkschaftswahl. Nur, dass es hier nicht geheim blieb.
    »Ich habe die Antwort auf deine Fragen. Wegen des Jungen im Panier.«
    »Was! Wovon sprichst du, Montale?«
    »Von deiner Untersuchung. Ich weiß, wer der Junge ist. Wo er herkommt und alles andere.«
    »Woher weißt du das?«
    »Es ist der Sohn meiner Cousine. Er ist Freitag abgehauen.«
    »Was hatte er da zu suchen?«
    »Ich werde es dir erzählen. Können wir uns treffen?«
    »Und ob! Wann kannst du da sein?«
    »Lass uns zu Ange gehen, das wäre mir lieber. Im Treize-Coins, einverstanden?«
    »Okay.«
    »Gegen Mittag, halb eins.«
    »Halb eins! Oh! Montale, was hast du denn vorher noch alles zu tun?«
    »Fischen gehen.«
    »Bist ein verdammter Lügner.«
    »Stimmt. Bis nachher, Loubet.«
    Ich wollte tatsächlich fischen gehen. Aber auf Informationsfang. Seewölfe und Goldbrassen konnten warten. Das waren sie gewohnt. Ich war kein echter Fischer, nur ein Amateur.
    Cue — so hieß sie, und sie war wirklich Vietnamesin, aus Dalat im Süden, »der einzigen kalten Stadt des Landes«, — sah mich an und ihr Blick verlor sich erneut unter einer Haarmatte. Sie schob sie nicht zur Seite. Sie hatte es sich im Schneidersitz auf dem Sofa bequem gemacht.
    »Wer weiß noch Bescheid?«
    »Niemand«, log ich.
    Der Sessel, den sie mir angewiesen hatte, stand im Gegenlicht. So - weit ich beurteilen konnte, waren ihre kohlrabenschwarzen Augen nur noch zwei Schlitze, scharf und hart wie Diamant. Sie hatte ihre Sicherheit wiedergewonnen. Oder zumindest genug Kraft, um mich auf Distanz zu halten. Unter der ruhigen Erscheinung konnte ich das Energiebündel in ihr erahnen. Sie bewegte sich wie eine Sport - lerin. Cue war nicht nur wachsam, sondern mit ausgefahrenen Krallen sprungbereit. Seit ihrer Ankunft in Frankreich hatte sie gewiss viel verteidigen müssen. Erinnerungen, Träume. Ihr Leben. Das Leben

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