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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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den Mittelmeerraum in der Antike. Von der Islamischen Heilsfront (FIS) mit dem Tod bedroht, war er wie viele andere algerische Intellektuelle aus seinem Land geflohen. Er hatte politisches Asyl beantragt.
    Natürlich dachte man sofort an eine Aktion der FIS. Aber für die Untersuchungsbeamten war das eher unwahrscheinlich. Bis heute hatte sich die FIS ‒ zumindest offiziell ‒ nur zu einer Hinrichtung bekannt, der Ermordung des Imam Sahraoui am 11. Juli 1995 in Paris. In Frankreich lebten Dutzende von Hocine Draouis. Warum er und nicht ein anderer? Außerdem gab Adrien Fabre zu, dass Hocine Draoui ihm gegenüber nie von irgendeiner Morddrohung ge - sprochen hatte. Er machte sich lediglich Sorgen um seine Frau, die in Algerien geblieben war und nachkommen würde, sobald sein Asyl anerkannt war.
    Adrien Fabre schilderte seine Freundschaft mit Hocine Draoui, den er 1990 auf einem großen Kolloquium über »Das griechische Marseille und Gallien« kennen gelernt hatte. Seine Arbeiten über die Lage des Hafens — erst phönizisch, dann römisch — gaben der Entwicklung unserer Stadt seiner Meinung nach ein neues Gesicht und halfen ihr, ihre Herkunft zu verstehen. Unter dem Titel »Am Anfang war das Meer« veröffentlichte die Zeitung Auszüge von Hocine Draouis Beiträgen zu diesem Kolloquium.
    Die Polizei hielt sich vorerst an die These des gestörten Einbruchs. Einbrüche waren im Panier an der Tagesordnung. Dadurch wurde die Renovierungspolitik des Viertels natürlich gebremst. Die meist wohlhabenden Neuankömmlinge wurden zu r Zielscheibe von Kriminellen, größtenteils jugendlichen Arabern. In einige Häuser war in wenigen Monaten drei-bis viermal eingebrochen worden, sodass die neuen Eigentümer dem Viertel entnervt den Rücken kehrten.
    Das Haus der Fabres hatte es zum ersten Mal erwischt. Würden sie ausziehen? Seine Frau, sein Sohn und er selbst waren noch zu aufgewühlt, um sich darüber Gedanken zu machen.
    Blieb das Rätsel der zweiten Leiche.
    Die Fabres kannten den etwa sechzehnjährigen jungen Mann nicht, der nur mit einer Unterhose bekleidet tot vor der Tür des Appartements ihres Sohnes gefunden wurde. Die Untersuchungsbeamten hatten das ganze Haus auf den Kopf gestellt, aber nichts gefunden als seine Kleider ‒ Jeans, T-Shirt, Jeansjacke ‒ , einen kleinen Rucksack mit Toilettenartikeln und etwas Wäsche zum Wechseln, aber keine Spur von einer Brieftasche oder Ausweispapieren. Eine Kette, die er um den Hals trug, war ihm mit Gewalt abgerissen worden. Die Spuren waren noch zu sehen.
    Laut Adrien Fabre hätte Hocine Draoui nie ohne Rückfrage jemanden bei ihnen untergebracht. Nicht einmal einen Verwandten auf der Durchreise oder einen Freund. Wenn er es aus irgendeinem Grund doch getan hätte, dann nicht ohne vorher in Sanary anzu - rufen. Er behandelte seine Gastgeber ausgesprochen respektvoll.
    Wer war dieser junge Mann? Woher kam er? Was machte er da? Kommissar Loubet, der die Untersuchungen leitete, suchte die Lö - sung dieser dramatischen Affäre.
    Ich hatte die Antworten.
    »Fonfon!«
    Fonfon kam mit zwei Kaffees auf dem Tablett. »Kein Grund zu schreien, der Kaffee ist fertig! Siehst du, ich hab mir gedacht, noch in schön starker wird dir nicht schaden. Da«, sagte er und stellte die Tassen auf den Tisch. Dann sah er mich an: »Oh! Bist du krank? Du bist ja ganz weiß, sag mal!«
    »Hat du die Zeitung gelesen?«
    »Bin noch nicht dazu gekommen.«
    Ich schob ihm die Seite des Provençal hin . »Lies!«
    Er las, langsam. Ich rührte meine Tasse nicht an, unfähig zur kleinsten Bewegung. Mein ganzer Körper bebte. Ich zitterte von Kopf bis Fuß.
    »Na und?«, sagte er und sah hoch.
    Ich erzählte. Gélou, Guitou, Näima.
    »Scheiße!« Er sah mich an und vertiefte sich dann wieder in den Artikel. Als ob eine zweite Lektüre die traurige Wahrheit unge - schehen machen könnte.
    »Gib mir einen Cognac.«
    »Fabre ...«, begann er.
    »Das ganze Telefonbuch ist voll davon, ich weiß. Bring mir einen Cognac, mach schon!« Ich musste das Blut in meinen Adern auftauen.
    Er kam mit der Flasche zurück. Ich trank zwei, auf ex, schloss die Augen und hielt mich mit einer Hand am Tisch fest.
    Ich trank einen dritten Cognac. Mir wurde schlecht. Ich lief ans Ende der Terrasse und kotzte auf die Felsen. Eine Welle brach sich darüber und verschlang meinen Ekel vor dieser Welt. Ihrer nutz - losen Unmenschlichkeit und Gewalt. Ich sah zu, wie der weiße Schaum die tiefen Furchen in den Felsen leckte, ehe er sich

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