Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
hast du sie gesehen?«, fragte ich.
»Montag. Vor meiner Schule. Sie hat auf mich gewartet. Wir wollten abends zusammen ins Konzert gehen. Akhénaton sehen. Den Sänger von IAM. Er hatte einen Soloauftritt.«
»Was hat sie gesagt?«
»Nichts, nichts ... Was ich Ihnen gestern Abend schon erzählt hab. Dass es aus war zwischen Guitou und ihr. Dass er zurückgefahren ist. Dass sie traurig war.«
»Und sie wollte nicht mehr ins Konzert gehen?«
»Sie musste zu einem Freund von Guitou. Es war dringend. Wegen Guitou und der ganzen Geschichte. Sodass ich schon dachte, ganz so aus ist es vielleicht doch nicht zwischen den beiden. Dass sie es ernst meinte mit diesem Guitou.«
»Und sie ist nicht zur Schule gegangen?«
»Nein. Sie hat gesagt, sie würde ein paar Tage nicht hingehen. Wegen der ganzen Sache. Dass sie im Moment nicht in der Stimmung war, den Lehrern zuzuhören.«
»Dieser andere Freund, kennst du den?«
Er zuckte mit den Schultern. Das konnte nur Mathias sein. Ich ahnte das Schlimmste. Wenn sie zum Beispiel Adrien Fabre gesehen hatte. Und wenn sie Mathias alles erzählt hatte. In welchem Zustand mussten die beiden sein! Was hatten sie dann getan? Mit wem hatten sie gesprochen? Mit Cue?
Ich wandte mich an den Großvater. »Machen Sie immer einfach so die Tür auf, wenn jemand klingelt?«
»Nein. Ich schaue erst aus dem Fenster. Wie alle hier.«
»Warum haben Sie denen dann aufgemacht?«
»Ich weiß nicht.«
Ich erhob mich. Ich hätte gern noch ein Bier getrunken. Aber Mari - nette war nicht mehr da.
Der Großvater musste es erraten haben. »Ich habe Bier im Kühlschrank. Ich trinke selber Bier, wissen Sie. Ab und zu. Im Garten. Das tut gut. Mourad, geh, hol ein Bier für den Herrn.«
»Lass«, sagte ich. »Ich finde es schon.« Ich musste mir die Beine vertreten. In der Küche trank ich direkt aus der Flasche. Einen großen Schluck. Das entspannte mich ein wenig. Dann nahm ich ein Glas, füllte es und ging zurück ins Wohnzimmer. Ich setzte mich neben das Bett und sah sie alle drei an. Keiner hatte sich gerührt.
»Hören Sie zu, Naïma ist in Gefahr. In Todesgefahr. Die Leute, die hierher gekommen sind, scheuen vor nichts zurück. Sie haben sc hon zwei Menschen umgebrach t. Guitou war keine siebzehn. Is t Ihnen klar, was das bedeutet? Also, ich frage noch mal: Warum haben Sie die Männer reingelassen?«
»Redouane ...«, begann der Großvater.
»Es war mein Fehler«, unterbrach Mourads Mutter. Sie sah mir g erade in die Augen. Sie hatte schöne Augen. Voller Schmerz. Anstelle des stolzen Funkens, der n ormalerweise aufflammt, wenn M ütter über ihre Kinder sprechen.
»Ihr Fehler?«
»Ich habe Redouane alles erzählt. Gestern Abend. Nach Ihrem Besuch. Er wusste, dass Sie da waren. Er weiß immer genau, was los ist. Manchmal habe ich den Eindruck, wir werden ständig beob - achtet. Er wollte wissen, wer Sie sind, was Sie von uns wollen. Ob es was mit dem anderen zu tun hatte, der am Nachmittag nach ihm gefragt hatte und ... «
Ich war kurz vorm Ausflippen. »Welcher andere, Madame Hamoudi?«
Sie hatte zu viel gesagt. Ich merkte, wie sie in Panik geriet. »Der andere.«
»Der, den sie umgelegt haben. Dein Kumpel, wie es scheint. Er hat Redouane gesucht.«
War das alles, oder kommt noch mehr?, fragte ich mich.
In meinem Kopf erschien der Bildschirm: »Game over.« Was hatte ich Fonfon neulich früh noch gesagt? »Solange man setzt, lebt man.« Ich hatte mich auf ein neues Spiel eingelassen.
Nur, um zu sehen.
Zw ö lftes Kapitel
In dem man nachts
Geisterschiffen begegnet
Alle drei starrten mich schweigend an. Ich ließ meinen Blick von einem zum anderen wandern.
Wo mochte Naïma sein? Und Pavie?
Beide hatten den Tod mit eigenen Augen gesehen, die grausame Wirklichkeit, keinen Fernsehfilm, und sie waren auf der Flucht. Verschwunden. In Luft aufgelöst.
Dem Großvater fielen die Augen zu. Die Beruhigungsmittel würden bald ihre Wirkung tun. Er kämpfte gegen den Schlaf. Dennoch war er es, der als Erster wieder das Wort ergriff. Weil es dringend war, und damit er endlich schlafen konnte.
»Ich dachte, er war ein Freund von Redouane. Der, mit dem ich durchs Fenster gesprochen hatte. Er wollte zu Naïma. Ich hab gesagt, sie ist noch nicht da. Dann hat er gefragt, ob er bei mir auf sie warten kann. Er hat es nicht eilig, meinte er. Er wirkte nicht... Er machte einen guten Eindruck. Gut angezogen, im Anzug, mit Schlips und Kragen. Also hab ich aufgemacht.«
»Solche Freunde hat
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