Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
Kopf. Nur noch das.
Töten.
Cbourmo ! Montale. Chourmo!
Das Leben ist wie eine Galeere!
»He! Du bist noch da?«
»Ich hab nachgedacht.«
»Lass es sein, Montale. Das bringt einen nur auf dumme Gedanken. Wenn du meine Meinung hören willst, stinkt die ganze Geschichte zum Himmel. Vergiss nicht, dass Hocine Draoui nicht zufällig umgelegt wurde.«
»Daran dachte ich gerade, weißt du.«
»Wie gesagt, lass es. Na gut, bist du zu Hause, wenn ich dich brauche?«
»Ich rühre mich nicht vom Fleck. Außer zum Fischengehen, wie du weißt.«
Dreizehntes Kapitel
In dem wir alle davon getr ä umt haben,
wie ein F ü rst zu leben
M ourad stand vor mir, bereit. Einen Rucksack auf dem Rücken, seine Schultasche in der Hand. Steif. Ich legte auf.
»Hast du Deux-Têtes angerufen?«
»Nein, warum?«
»Aber du hast mit einem Bullen gesprochen.«
»Ich war Bulle, wie du wissen müsstest. Sie sind nicht alle wie Deux-Têtes.«
»Von der Sorte hab ich noch nie einen getroffen.«
»Es gibt sie aber.«
Er starrte mich an. Wie er es schon öfter getan hatte. Er suchte nach einem Grund, mir zu vertrauen. Das war nicht einfach. Ich kannte diesen Blick nur zu gut. Die meisten Jungs, mit denen ich in den Vorstädten zu tun gehabt hatte, wussten nicht, was ein Erwach - sener war. Ein echter.
Wegen Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und Rassismus waren ihre Väter in ihren Augen nur noch Verlierer. Versager. Machtlos. Männer, die Kopf und Arme hängen ließen. Die nicht diskutierten. Nicht Wort hielten . Nicht einmal wegen eines Fünf zig-Francs-Scheins zum Wochenende. Und diese Kinder gingen auf die Straße. Fallen gelassen. Vom Vater. Ohne Glauben. Gesetzlos. Mit einem einzigen Vorsatz: Nicht so zu werden wie ihr Vater.
»Können wir?«
»Ich muss noch eine Sache erledigen«, sagte ich. »Deshalb bin ich mit hochgekommen. Nicht nur, um zu telefonieren.«
Jetzt war es an mir, ihn anzusehen. Mourad stellte seine Schultasche ab. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Er hatte erraten, was ich vorhatte.
Als ich den Großvater von Redouane sprechen hörte, hatte sich unmerklich ein Gedanke in meinem Kopf festgesetzt. Mir war wieder eingefallen, was Anselme mir anvertraut hatte. Redouan war schon mit dem Typen gesehen worden, der den BMW gefahren hatte, aus dem die Schüsse gefallen waren. Und Serge war au s Hamoudis Wohnung gekommen.
»Ist das sein Zimmer?«, fragte ich.
»Nein, das gehört den Eltern. Seins ist dort hinten.«
»Ich muss das tun, Mourad. Ich muss einige Dinge wissen.«
»Warum?«
»Weil Serge mein Kumpel war«, sagte ich, während ich die Tür öffnete. »Ich mag es nicht, wenn man meine Freunde einfach so um - legt.«
Er blieb gerade stehen, steif. »Nicht einmal meine Mutter darf hinein. Auch nicht, um das Bett zu machen. Niemand.«
Das Zimmer war winzig. Ein kleiner Schreibtisch mit einer alten Japy-Schreibmaschine. Darauf lagen mehrere Publikationen, sorg - fältig geordnet. Einige Nummern von Al Raid und des Musulman, einer Monatszeitschrift, herausgegeben von der Vereinigung isla - mischer Studenten in Frankreich, und ein Heft von Ahmed Deedat: Wie Salman Rushdie den Westen getäuscht hat. Eine Ausziehliege aus den Sechzigern mit dem ungemachten Bett. Einige Bügel mit Hemden und Jeans auf einer Garderobenstange. Ein Nachttisch mit einer Ausgabe des Koran.
Ich setzte mich zum Nachdenken auf das Bett und blätterte im Koran. Vor einer Seite steckte ein zusammengefalteter Zettel. In der ersten Zeile stand: »Jedes Volk ist dem Untergang geweiht, und wenn die Zeit gekommen ist, kann es ihn nicht eine Sekunde verzögern oder beschleunigen.« Schöne Aussichten, dachte ich. Dann faltete ich den Zettel auseinander. Ein Pamphlet. Ein Flugblatt des Front National. Verdammt! Ein Glück, dass ich saß! Das war das Letzte, was ich dort erwartet hatte.
Der Text griff eine Erklärung des Front National auf, die in Minute-la-France (Nr. 1552) erschienen war. »Dank der FIS gleichen die Algerier immer mehr den Arabern und immer weniger den Franzosen. Die FIS ist für das Recht der Abstammung. Wir auch! Die FIS ist gegen die Integration der Einwanderer in die französische Gesellschaft. WIR AUCH!« Und als Schlussfolge rung: »Der Sieg der FIS ist die unverhoffte Chance, einen Iran vor unserer Tür zu haben.«
Warum hob Redouane dieses Flugblatt im Koran auf? Wo hatte er es her? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Radikalen d er extre - men Rechten es in den Briefkästen der Vorstädte verteilt
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