Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
gefährlich werden könnte. Dass er das macht, weil er keinen Halt mehr hat. Er ist durch die Abschlussprüfung gefallen und hat dann Gelegenheitsjobs angenommen. Bei den Elektrizitätswerken hatte er eine Stelle ... Wie sagt man noch?«
»Auf Zeit.«
»Ja, genau, auf Zeit. Nicht von Dauer.«
»Das stimmt.«
»Danach Obstverkäufer, an der Rue Longue. Le 13 hat er auch ausgetragen. Du weißt schon, die kostenlose Zeitung. Nur solche Sachen. Zwischen zwei Jobs hing er im Treppenhaus rum, hat geraucht und Rap gehört. Hat sich ausstaffiert wie MC Solaar! Da hat er mit dem Blödsinn angefangen. Und sich immer mehr voll Drogen gepumpt. Anfangs musste meine Mutter ihm Stoff mitbringen, wenn sie ihn im Knast besucht hat. Im Besucherzimmer! Sie hat es gemacht, stell dir das vor! Hat gesagt, sonst bringt er uns alle um, wenn er rauskommt.«
»Willst du dich nicht setzen?«
»Nein, ich stehe lieber.« Er warf mir einen Blick zu. »Es ist nicht einfach, über Redouane zu reden. Er ist mein Bruder, ich hab ihn gern. Zuerst hat er seinen ganzen Lohn mit uns auf den Kopf gehauen. Er hat uns ins Kino eingeladen, Näima und mich.
Ins Capitole, verstehst du, auf der Canebière. Er hat uns Popcorn gekauft. Und wir sind im Taxi zurückgefahren! Wie die Fürsten.«
Dabei schnalzte er mit den Fingern. Ein Lächeln um den Mund. Diese Augenblicke mussten wirklich großartig gewesen sein. Die drei Kinder auf dem Bummel über die Canebière. D er Große, der Kleine und in der Mitte die Schwester. Voller Stolz auf ihre Prinzessin, das war klar.
Leben wie ein Fürst ‒ davon hatten Manu, Ugo und ich auch geträumt. Wir waren es leid, für nichts und wieder nichts zu ackern, während der Alte sich auf unsere Kosten die Taschen voll schaufelte. »Wir sind keine Nutten«, pflegte Ugo zu sagen. »Von diesen dummen Säcken lassen wir uns nicht ficken.« Manu war außer sich wegen der Centimes beim Stundenlohn. Die Centimes waren wie der Knochen vom Schinken, an dem er sich die Zähne ausbiss. Ich war wie sie, ich wollte saftiges Fleisch sehen.
Wie viele Apotheken und Tankstellen hatten wir überfallen? Ich wusste es nicht mehr. Eine ganze Latte. Wir machten das am laufen - den Band. Erst in Marseille, dann in der Umgebung. Wir waren nicht auf einen Rekord aus. Nur darauf, vierzehn, zwanzig Tage bequem zu leben. Dann fingen wir von vorn an. Weil es so schön war, mit Geld um sich zu schmeißen, ohne auf den Centime zu achten. Anzugeben. Gut gekleidet und alles. Wir haben uns sogar Maßanzüge schneidern lassen. Bei Grillo. Ei n italienischer Schneider in der Avenue Foch. Die Auswahl des Tuches, des Schnitts. Die Anproben, die letzten Feinheiten. Mit der Bügelfalte, die haarscharf über die Schuhe fiel, italienische natürlich. Das hatte Klasse!
Eines Nachmittags, daran erinnere ich mich noch, hatten wir eine Tour bis nach San Remo beschlossen. Um uns mit Kleidern und Schuhen einzudecken. José, ein Kumpel aus einer Autowerkstatt und Rennwagennarr, hatte uns einen Alpine-Coapé überlassen. Ledersitze und Armaturenbrett aus Holz. Ein Meisterwerk. Drei Tage sind wir geblieben. Es war die reinste Prasserei. Hotel, Mädchen, Restaurants, Nachtclubs und in den frühen Morgen - stunden die höchsten Einsätze im Casino.
Leben im großen Stil. La Belle Époque.
Heute war das nicht mehr so einfach. Einen kleinen Superm ar kt um tausend Francs zu erleichtern, ohne drei Tage später schnappt zu werden, war schon ein kleines Kunststück. Vor die sem Hinter - grund war der Drogenmarkt aufgeblüht. Dort gab es bessere Garan - tien. Und es brachte mehr ein. Heute musste man schon Dealer werden.
Vor zwei Jahren hatten wir einen erwischt, Bachir. Sein Traum war vom Heroinverkauf eine Kneipe aufzumachen. »Ich hab das Gramm für acht, neun, zehn Francs gekauft«, hatte er uns erzählt. »Ich hab es versetzt und beim Verkauf fast eine Million Umsatz gemacht. Manchmal hatte ich viertausend am Tag ...«
Er hatte die Kneipe schnell vergessen und sich in den Dienst eines Obermackers begeben, wie er sagte. Ein großer Dealer, nichts anderes. Halbe-halbe. Er trug das ganze Risiko. Die Pakete rum - schleppen, warten. Eines Abends weigerte er sich, die Einnahmen rauszurücken, eine Erpressung, um mehr Prozente herauszu - schlagen. Am nächsten Tag genehmigte er sich stolz einen Aperitif in der Bardes Platanes in Merlan. Ein Typ spazierte herein und jagte ihm zwei Kugeln in die Beine. Je eine. Da haben wir ihn aufge - sammelt. Er war vorbestraft, und es
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