Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
‒ für seine neuen Anhänger organisiert. Pakistan vor allem, aber auch Arabien, Saudiarabien, Syrien, Ägypten ... Mit Besuchen der Hochburgen des Islam, Koranstudium und, an erster Stelle, Einführung in den bewaffneten Kampf. Die fand in Afghanistan statt.
»Weißt du, wo er während der drei Monate hingegangen ist?«
»Nach Bosnien.«
»Bosnien!«
»Mit einer Hilfsorganisation, Merhamet. Redouane ist in die Fran - zösische Islamische Assoziation eingetreten. Die verteidigen die Bosnier. Das sind Moslems, weißt du. Sie führen einen Glaubens - krieg gegen die Serben und auch gegen die Kroaten. So hat Redou - ane mir das erklärt. Zu Anfang ... Denn später, verstehst du, hat er kaum noch mit mir gesprochen. Ich war ein blöder Minderjähriger. Ich hab nichts mehr erfahren. Auch nicht von den Leuten, die ihn besucht haben. Oder was er den ganzen Tag tat. Oder von dem Geld, das er jede Woche nach Hause brachte Alles, was ich weiß, ist, dass sie eines Tages mit anderen die Dealer am Plan d'Aou vermö - beln wollten. Heroindealer. Nicht Shit und das andere Zeug. Ein paar Kumpel haben sie gesehen. Daher weiß ich das.«
Wir hörten die Eingangstür aufgehen, gefolgt von Stimmen. Mourad war als Erster im Esszimmer. Um ihm auf dem Flur den Weg abzuschneiden.
»Geh aus dem Weg, Kleiner, ich habs eilig.«
Ich kam aus dem Zimmer, den Plastiksack in der Hand. Hinter Redouane noch ein junger Mann.
»Scheiße, wir hauen ab!«, schrie Redouane.
Es hätte nichts genützt, ihnen hinterherzulaufen.
Mourad zitterte von Kopf bis Fuß. »Der andere, das ist Nacer. Er war der Fahrer des BMW. Nicht nur Anselme denkt das. Wir wissen es alle. Wir haben ihn hier schon mit der Kiste rumhängen sehen.«
Und er fing an zu heulen. Wie ein kleines Kind. Ich ging zu ihm und drückte ihn an mich. Er reichte mir bis zur Brust. Seine Tränen verdoppelten sich.
»Schon gut«, sagte ich. »Ist ja schon gut.«
Nur, dass es zu viel Scheiße auf dieser Welt gab.
Vierzehntes Kapitel
In dem nicht sicher ist, dass es woanders
weniger schlimm ist
Ich hatte das Zeitgefühl verlor en. In meinem Kopf ging es rund. Ich hatte Mourad vor Anselmes Haus abgesetzt. Er hatte den Plastikbeutel mit der Knarre ins Handschuhfach geschoben und »Adieu« gesagt. Ohne sich auch nur umzudrehen und mir zuzuwinken.
Er hatte großen Kummer, daran bestand kein Zweifel. Anselme würde mit ihm reden können. Ihn wieder aufbauen. Letztendlich sah ich ihn lieber bei ihm als beim Großvater.
Bevor ich La Bigotte verließ, hatte ich den Parkplatz nach Serges Wagen abgesucht. Aber ohne mir große Hoffnungen zu machen. Ich wurde nicht enttäuscht, er war nicht da. Pavie musste darin wegge - fahren sein. Ich hoffte, dass sie wirklich einen Führerschein hatte und keine Dummheiten anstellte. Fromme Wünsche, wie immer. Wie zu glauben, dass sie jetzt an einem sicheren Ort war. Bei Randy, zum Beispiel. Ich glaubte nicht daran, aber so konnte ich wieder in mein Auto steigen und ins Zentrum fahren.
Art Pepper spielte gerade More for Less. Ein Schmuckstück. Jazz hatte immer diese Wirkung auf mich: Scherben zusammenzufügen. Das funktionierte mit Gefühlen. Mit dem Herzen. Aber das hier war etwas ganz anderes. Es gab zu viele Bruchstücke. Zu viele Blick - winkel, zu viele Fährten. Und zu viele Erinnerungen, die an die Oberfläche kamen. Ich brauchte dringend ein Glas. Oder zwei.
Ich fuhr an den Kais entlang, vorbei am großen Joliette-Becken bis zum Quai de la Tourette, dann um die Kirche Saint-Laurent herum. Dort lag der Alte Hafen, von Lichtern umringt.
Ein Gedicht von Brauquier kamen mir in den Sinn:
Das Meer
wiegte mich in seinen schlummernden Armen
wie es einen verirrten Fisch umfangen hätte ...
Vor dem Hotel Alizé f u hr ich langsamer. Das hatte ich mir als Zi el vorgenommen. Aber ich brachte nicht den Mut auf, anzuhalten Gélou gegenüberzutreten. Alex zu begegnen. Das ging zu dieser Stunde über meine Kräfte. Ich fand tausend Vorwände, um nicht aus dem Auto zu steigen. Erst mal gab es keinen Parkplatz. Dann mussten sie gerade irgendwo beim Essen sein. Solche Sachen. Ich nahm mir fest vor, später anzurufen.
Das Wort eines Betrunkenen! Ich war bereits beim dritten Whisky. Mein R 5 hatte mich mit geschlossenen Augen zu Hassan in die Bar des Maraîchers im La-Plaine-Viertel gefahren, wo man immer will - kommen ist. Eine Kneipe mit jungem Publikum, die angenehmste im Viertel. Vielleicht sogar in ganz Marseille. Ich ging seit einigen Jahren dorthin.
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