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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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Wohnungen, Schulen und Straßen aus dem Boden, um die vielen Arbeiter mit offenen Armen im neuen Eldorado in Empfang zu nehmen. Frankreich selbst glaubte es. Als der erste Stahlklumpen schmolz, war Fos nur noch eine Fata Morgana. Der letzte große Traum der Siebzigerjahre. Und die brutalste Enttäuschung. Tausen - de von Arbeitern landeten auf der Straße. Mouloud war einer von ihnen. Aber er ließ sich nicht entmutigen.
    Er streikte mit der CGT, besetzte die Baustelle und schlug sich mit der Bereitschaftspolizei, die sie vertrieben hatte. Natürlich verloren sie. Gegen die unternehmerische Willkür der Männer in Nadel - streifen gewinnt man nicht. Driss war gerade zur Welt gekommen. Fatima war tot. Und Mouloud, als Agitator gebrandmarkt, fand keine feste Arbeit mehr. Nur Gelegenheitsjobs. Zur Zeit war er Lagerarbeiter bei Carrefour. Nach vielen Jahren Arbeitslosigkeit. Ein Glücksfall, sagte er. So war Mouloud, er glaubte an Frankreich.
    Es war im Büro auf dem Polizeikommissariat seines Viertels, als Mouloud mir eines Abends seine Lebensgeschichte erzählte.
    Damit ich verstünde. Leila war bei ihm. Zwei Jahre war das her, ich hatte soeben Driss und Kader verhört. Ein paar Stunden zuvor hatte Mouloud Batterien für ein Transistorradio gekauft, das seine Kinder ihm geschenkt hatten. Einzelne Batterien. Die Batterien funktionierten nicht. Kader lief zur Drogerie am Boulevard, um sie umzutauschen. Driss hinterher.
    »Ihr wisst bloß nicht, wie das geht. Das ist alles.«
    »Doch, weiß ich«, antwortete Kader. »Ist ja nicht das erste Mal.«
    »Ihr Araber wisst immer alles.«
    »Das ist unhöflich, M 'dame, so was zu sagen.«
    »Ich bin höflich, wenn ich will. Aber nicht zu dreckigem Gesindel wie euch. Ihr stehlt mir meine Zeit. Steck deine Batterien wieder ein. Wahrscheinlich sind es alte, die du gar nicht bei mir gekauft hast.«
    »Mein Vater wars. Eben gerade.«
    Ihr Mann tauchte mit einem Jagdgewehr aus dem Hinterzimmer auf. »Bring ihn nur her, deinen Lügner von einem Vater. Ich werd ihm die Batterien ins Maul stopfen.« Er hatte die Batterien auf den Boden geschmissen. »Haut ab! Lumpengesindel!«
    Kader stieß Driss aus dem Laden. Dann ging alles sehr schnell. Driss, der bisher noch nichts gesagt hatte, hob einen Stein auf und schmiss ihn ins Schaufenster. Er rannte davon, Kader auf seinen Fersen. Der Typ war aus dem Laden getreten und schoss hinter ihnen her. Daneben. Zehn Minuten später belagerten an die hundert Straßenjungen den Drogisten. Es brauchte zwei Stunden und einen Wagen der Bereitschaftspolizei, um die Ruhe wieder herzustellen. Keine Toten, keine Verletzten. Aber ich schäumte vor Wut. Meine Aufgabe war es gerade, den Ruf nach der Polizei zu vermeiden. Kein Aufruhr, keine Provokation und vor allem keine polizeilichen Übergriffe.
    Ich hatte den Drogisten verhört.
    »Die Araberschweine, davon gibt es einfach zu viele. Das ist das Problem.«
    »Sie sind nun mal da. Sie haben sie nicht eingeladen. Ich auch nicht. Aber sie sind da. Und wir müssen mit ihnen leben.«
    »Und Sie, sind Sie auf ihrer Seite?«
    »Machen Sie sich nicht ins Hemd, Varounian. Es sind Araber. Sie sind Armenier.«
    »Und stolz drauf. Was haben Sie gegen die Armenier?«
    »Nichts. So wenig wie gegen die Araber.«
    »Und worauf läuft das hinaus? Man kommt sich vor wie mitten in Algier oder Oran. Warn Sie da mal, da unten? Ich schon. Verdammt, hier stinkts jetzt genauso.« Ich ließ ihn reden. »Früher hast du einen Bimbo auf der Straße angerempelt, und der hat sich entschuldigt. Jetzt sagt er dir: Kannst du dich nicht entschuldigen! Arrogant sind die, das ist es. Denken, sie sind hier zu Haus, Scheiße!«
    Dann hatte ich keine Lust mehr zuzuhören. Nicht mal zu disku - tieren. Mir wurde übel davon. Und so war es immer. Ihn anzuhören, war wie den Méridional lesen. Das Blatt der extremen Rechten schürte den Hass täglich. Früher oder später, hatte es vor kurzem geschrieben, werden wir mit der Bereitschaft spolizei, mobilen Wach - truppen und Polizeihunden gegen die Kasbahs in Marseille vorgehen müssen ... Wenn wir nichts unternahmen, würde es eines Tages knallen. Das war sicher. Ich hatte keine Lösung. Niemand hatte eine. Wir mussten warten. Nicht aufgeben. Alle Hoffnung darauf setzen, dass Marseille dieses neue Völkergemisch überleben würde. Wieder auferstehen würde. Marseille hatte schon ganz anderes erlebt.
    Ich hatte jeden in sein Lager zurückgeschickt. Mit einer Geldstrafe wegen »Erregung öffentlichen

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