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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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nach einigen Aufsehen erregenden Übergriffen an die Front schicken konnte. Der siebzehnjährige Lahaouri Ben Mohamed war bei einer banalen Aus - weiskontrolle niedergeschossen worden. Die antirassistischen Vereine hatten laut geschrien, die linken Par teien aufgemuckt. Das ganze Theater halt. Aber er war ja nur ein Araber. Kein Grund, die Fahne der Menschenrechte zu hissen. Wirklich nicht. Aber als es im Februar 1988 Charles Dovero, den Sohn eines Taxifahrers, erwischte, war die ganze Stadt in Aufruhr. Scheiße, ein Franzose. Das war ein grober Schnitzer. Es mussten Maßnahmen getroffen werden. Die Maßnahme war ich.
    Ich übernahm meine Aufgabe voller Illusionen. Ich wollte erklären und überzeugen. Antworten geben, am liebsten gute. Helfen. An jenem Tag hatte ich begonnen abzugleiten, wie meine Kollegen sagten. Ich wurde immer weniger Polizist, immer mehr Sozialar - beiter, Pädagoge, etwas in der Richtung. Seither hatte ich das Vertrauen meiner Vorgesetzten verloren und mir viele Feinde gemacht. Zwar hatte es keine Ausrutscher mehr gegeben, und die Kleinkriminalität war nicht angestiegen. Aber meine Erfolgsbilanz war wenig eindrucksvoll: keine spektakulären Verhaftungen, kein medienträchtiger Super-Coup. Nur gut verwaltete Routine.
    Die zahlreichen Reformen verstärkten meine Isolation. Es gab keine neuen Aufgabengebiete für die Brigade mehr. Eines Morgens hatte ich überhaupt keinen Einfluss mehr. Die Anti-KriminalitätsBrigade, die Anti-Drogen-Brigade, die Anti-Prostitutions-Brigade und die Anti-Immigrations-Brigade hatten mich überflüssig gemacht. Ganz zu schweigen von der Brigade zur Bekämpfung der Bandenkriminalität, die Argue virtuos dirigierte. Ich war zum Vorstadtpolizisten geworden, dem alle Untersuchungen aus der Hand genommen wurden. Aber seit meiner Zeit bei der Kolonialarmee hatte ich nichts anderes gelernt, als Polizist zu sein. Niemand hatte je etwas anderes von mir erwartet. Dennoch wusste ich, dass meine Kollegen Recht hatten. Ich glitt ab. Ich wurde ein gefährlicher Polizist. Keiner, der einem Strolch in den Rücken schießen könnte, um einem Kumpel die Haut zu retten.
    Der Anrufbeantworter blinkte. Es war spät. Alles konnte warten. Ich hatte geduscht. Ich schenkte mir ein Glas Lagavulin ein, legte eine Platte von Thelonious Monk auf und mich mit den Geschichten der Unrast von Conrad ins Bett. Die Augen fielen mir zu. Monk machte allein weiter.

Zweites Kapitel
    In dem auch die aussichtsloseste Wette
    noch Hoffnung macht

    Ich stellte meinen Renault 5 auf dem Parkplatz in Paternelle ab. Ein maghrebinisches Viertel. Es gab üblere. Es gab weniger schlimme. Obwohl gerade erst zehn, war es schon sehr heiß. Hier hatte die Sonne freie Bahn. Kein Baum, nichts. Die Vorstadt schlechthin. Der Parkplatz. Unbebautes Gelände. In einiger Entfernung das Meer. L'Estaque mit seinem Hafen. Wie ein fremder Erdteil. Mir fiel ein Chanson von Aznavour ein. In der Sonne ist das Elend nicht so schlimm. Zweifellos war er nicht bis hierher gekommen. Zu diesen Haufen aus Scheiße und Beton.
    In den Vorstädten hatte ich es vom ersten Tag an mit jugendlichen Ganoven, Süchtigen und mit den Hängern zu tun. Die Aus-gespienen, die anderen Furcht und Schrecken einjagen. Nicht nur denen aus dem Stadtzentrum, sondern auch den Einwohnern dieses Viertels. Die kleinen Ganoven sind bereits weit fortgeschritten in ihrer kriminellen Laufbahn: Einbrecher, Dealer, Erpresser. Einige haben mit knapp siebzehn schon zwei Jahre Gefängnis auf dem Buckel und obendrein ein ganzes Sortiment von langjährigen »Straf - aussetzungen zur Bewährung«. Hartgesottene, denen das Messer locker sitzt. Bürgerschrecks. Die Süchtigen ihrerseits suchen keinen Streit. Außer dass sie häufig Kleingeld brauchen und dafür alle erdenklichen Dummheiten anstellen. Das ist ihnen an der Nasen - spitze anzusehen. Wie sie ausschauen, ist schon ein Geständnis.
    Die Hänger sind coole Typen. Keine Dummheiten. Kein Strafregister. Sie sind an der Berufsschule eingeschrieben, gehen aber nicht hin, wovon alle Beteiligten profitieren: Die Klassen werden entlastet, und zusätzliche Lehrer kann man leichter bekommen. Sie verbringen den Nachmittag in der Fnac oder bei Virgin. Schnorren hier eine Kippe, dort hundert Piepen. Alles recht harmlos, bis sie eines Tages anfangen, von einem BMW zu träu men , weil sie den Bus leid sind. Oder der großen »Erleuchtung« der Droge unterlie - ge n. Und sich an die Nadel hängen.
    Dann sind da noch all die anderen,

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