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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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die ich erst später entdeckt habe. Scharen von Kindern, deren Leben dadurch bestimmt ist, dass sie hier geboren wurden. Und Araber. Oder Schwarze, Zigeuner, Komoren Schüler aller Klassen, Zeitarbeiter, Arbeitslose, Störenfrie - de, Sportler. Ihre Jugend ist ein Gang auf dem Hochseil. Mit dem Unterschied, dass alle Chancen gegen sie stehen. Wohin würden sie fallen? Das war die reinste Lotterie. Niemand konnte es sagen. Ganoven, Hänger, Süchtige. Früher oder später würden sie es erfah - ren. Für mich war es immer zu früh, für sie zu spät. In der Zwischenzeit ließen sie sich wegen Bagatellen schnappen. Schwarz - fahren, eine Schlägerei auf dem Schulweg, kleine Ladendiebstähle.
    Darüber diskutierten sie in Radio Galère, dem schmutzigen Radio, das die Köpfe wusch. Ein Sender, in dem man viel »tchatchte«, wie man in Marseille für »quatschen« sagte, und den ich regelmäßig im Auto hörte. Ich wartete das Ende des Programms bei offener Tür ab.
    »Scheiße, Alter, uns ist nicht mehr zu helfen. Nimm mich zum Beispiel. Ich komm auf achtzehn Piepen, siehst du. Nun brauch ich aber fünfzig oder hundert, am Freitagabend. Ist doch normal, oder? Wir sind fünf bei uns zu Hause. Alter, wo soll ich fünfhundert Piepen hernehmen, kannst du mir das sagen? Also, mehr oder weni - ger, ich will ja nichts sagen, aber ... der Junge, der müsste ...«
    »Taschendieb werden! Ja!«
    »Red keinen Quatsch!«
    »Klar doch. Und der Typ, der sich die Kohle aus der Tasche ziehen lässt, der merkt, das is 'n Araber. Und schwupp, im Handumdrehen ist er beim Front National.«
    »Dabei braucht er gar kein Rassist zu sein, Mann.«
    »Hätte alles sein können, was weiß ich, Portugiese, Franzose, Zigeuner.«
    »Oder ein Schweizer! Idiot! Diebe gibts überall.«
    »Du musst zugeben, in Marseille ist es öfter ein Araber als ein Schweizer. So ein Pech auch.«
    Seit ich in dem Bereich arbeitete, hatte ich einige schwere Jungs und nicht wenige Dealer und Einbrecher geschnappt. Auf frischer Tat oder nach einer Verfolgungsjagd durch die Viertel und ihre Randgebiete. Sie kamen nach Baumettes, in den großen Knast von Marseille. Ich empfand weder Mitleid noch Hass dabei. Aber Zwei - fel überkamen mich jedes Mal. Das Gefängnis macht einem Acht - zehnjährigen das Leben kaputt, egal wie er drauf ist. Als ich mit Manu und Ugo auf Raubzug gegangen bin, hatten wir nicht nach dem Risiko gefragt. Wir kannten die Regeln. Es war ein Spiel. Gewinnst du, umso besser. Verlierst du, Pech. Sonst bleib zu Haus.
    Es galt noch immer die gleiche Regel. Aber die Risiken waren ums Hundertfache gewachsen. Die Gefängnisse liefen vor Minderjäh - rigen über. Sechs auf einen, das wusste ich. Die Zahl ließ bei mir alle Alarmglocken klingeln.
    Eine Hand voll Ki ds rannte hintereinander her und bewarf sich mit faustgroßen Steinen. »Jetzt machen sie wenigstens keine Dumm - heiten«, hatte mir eine ihrer Mütter gesagt. Eine Dummheit war es, wenn die Bullen anrücken mussten. Das hier war nur eine Kinder - version von OK Corral. Vor Haus Nummer C 12 diskutierten sechs Zwölf-bis Siebzehnjährige lebhaft miteinander. In dem einen Meter fünfzig schmalen Schattenstreifen, den das Gebäude spendierte. Sie sahen mich auf sie zukommen. Rachid, der Älteste, begann mit dem Kopf zu wackeln und zu pfeifen, überzeugt, dass mein Auftauchen nur Ärger verhieß. Ich hatte nicht vor, ihn zu enttäuschen.
    Ich wandte mich an die ganze Bande: »Was ist, habt ihr Unterricht an der frischen Luft?«
    »Nee, heut ist Lehrerkonferenz. Unterrichten sich gegenseitig«, sagte der Jüngste.
    »Jaaa. Die checken, ob se fit genug sind, uns das Hirn vollzustopfen«, doppelte ein anderer nach.
    »Super. Und ihr macht grad Handarbeit, nehme ich an.«
    »Was denn! Was denn! Wir machen nichts Böses!«, protestierte Rachid.
    Für ihn war die Schule schon lange aus. Rausgeflogen, nachdem er einen Lehrer bedroht hatte, der ihn wie einen Schwachsinnigen behandelt hatte. Dennoch ein guter Junge. Er hof fte auf eine Lehr - stelle. Wie viele in den Vorstadtsiedlungen. Das war die Zukunft: warten auf eine Stelle, irgendeine. Und das war immer noch besser, als auf gar nichts zu warten.
    »Ich sag nichts. Ich informiere mich.« Er trug einen blauweißen Trainingsanzug, in den Farben von Olympique Marseille. Ich be - fühlte den Stoff. »Sieh mal an, der ist ja ganz neu.«
    »Was denn! Ich hab ihn bezahlt. Ist von meiner Mutter.«
    Ich legte meinen Arm um seine Schultern und zog ihn von der Gruppe

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