Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
zu lassen. Im schwachen Licht des Mondes über dem Wasser sah ich ihre Augen leuchten. Ich wollte sie in die Arme nehmen und an mich drücken. Sie küssen.
Uns war beiden bewusst, dass unsere immer häufigeren Treffen dahin führen würden. Vor diesem Moment hatte ich Angst. Ich kannte meine Lust nur zu gut. Ich wusste, wie das alles enden würde. In einem Bett, dann in Tränen. Ich hatte eine Niederlage nach der anderen erlebt. Die Frau, die ich brauchte, musste ich noch finden. Wenn es sie gab. Aber Leila war es nicht. Für sie, jung wie sie war, empfand ich nur Lust. Ich hatte kein Recht, mit ihr zu spielen. Nicht mit ihren Gefühlen. Dafür war sie zu gut. Ich küsste sie auf die Stirn.
Ihre Hand streichelte meinen Oberschenkel. »Nimmst du mich mit zu dir?«
»Ich bringe dich wieder nach Aix. Es ist besser für uns beide. Ich bin nur ein alter Trottel.«
»Ich mag alte Trottel auch.«
»Vergiss es, Leila. Finde jemanden, der gescheiter ist. Und jünger.«
Ich sah starr auf die Straße vor uns. Wir tauschten nicht einen Blick. Leila rauchte. Ich h atte eine Kassette von Calvin Ru ssel eingelegt. Er war in Ordnung. Genau das Richtige zum Fahren. Ich wäre quer durch ganz Europa gerollt, nur um die Abzweigung nac h Aix nicht nehmen zu müssen. Ru ssel sang Rockin the Republicans. Leila stoppte die Kassette ohne ein Wort, bevor er Baby I Love You in Angriff nehmen konnte.
Sie schob eine andere rein, die ich nicht kannte. Arabische Musik. Ein marokkanisches Mandolinensolo. Die Musik, von der sie für diese Nacht mit mir geträumt hatte. Die Mandoline breitete sich im Wagen aus wie ein Geruch. Der friedliche Geruch der Oasen. Datteln, getrocknete Feigen, Mandeln. Ich riskierte einen Blick auf sie. Ihr Rock war weit hochgerutscht. Sie war schön, schön für mich. Ja, ich begehrte sie.
»Das hättest du nicht dürfen«, sagte sie, bevor sie ausstieg.
»Was nicht dürfen?«
»Zulassen, dass ich dich liebe.«
Sie schlug die Tür zu. Aber nicht heftig. Nur traurig. Und gleichzeitig wütend. Das war jetzt ein Jahr her. Wir hatten uns nicht wiedergesehen. Sie hatte nicht mehr angerufen. Ihre Abwesenheit machte mir immer wieder zu schaffen. Vor vierzehn Tagen erinnerte sie mich per Post an ihre Prüfung. Nur eine Karte mit den Worten: »Für dich. Bis bald.«
»Ich werde sie suchen, Mouloud. Mach dir keine Sorgen.«
Ich schenkte ihm mein schönstes Lächeln. Das vom guten Polizisten, dem man trauen kann. Ich erinnerte mich, dass Leila einmal über ihre Brüder gesagt hatte: »Wenn es spät ist, und einer ist noch nicht zurückgekehrt, machen wir uns Sorgen. Hier kann alles Mögliche passieren.« Ich machte mir Sorgen.
Vor Block C 12 saß Rachid allein auf einem Skateboard. Als er mich aus dem Haus kommen sah, stand er auf und verschwand mit seinem Skateboard im Eingang. Zweifellos verfluchte er mich im Stillen. Aber das war mir wurscht. Mein Wagen auf dem Parkplatz hatte nicht einen einzigen Kratzer bekommen.
Drittes Kapitel
In dem die Ehre der Ü berlebenden
im Ü berleben liegt
Marseille lag unter einer Hitzeglocke. Ich fuhr mit offenen Fenstern die Autobahn entlang. Ich hatte eine Kassette von B. B. King eingelegt. Volle Lautstärke. Nur Musik. Ich wollte nicht denken. Noch nicht. Nur meinen Kopf freikriegen, die Fragen, die auf mich einstürzten, verdrängen. Ich war auf dem Rückweg von Aix, und alle meine Befürchtungen hatten sich bestätigt. Leila war wirklich verschwunden.
Auf der Suche nach dem Sekretariat war ich durch eine verlassene Fakultät geirrt. Bevor ich zum Studentenwohnheim ging, musste ich wissen, ob Leila ihre Prüfung bestanden hatte. Die Antwort war ja. Mit Auszeichnung. Danach war sie verschwunden. Ihr alter roter Fiat Panda stand auf dem Parkplatz. Ich hatte einen Blick hinein - geworfen, aber es lag nichts darin herum. Entweder hatte sie eine Panne, was ich nicht überprüft hatte, und war mit dem Bus losge - fahren, oder jemand hatte sie abgeholt. Der Hausmeister, ein kleiner, rundlicher, gutmütiger Mann mit einer Baseballkappe auf dem Kopf, öffnete mir die Tür zu Leilas Zimmer. Er erinnerte sich, sie kommen gesehen zu haben, aber nicht wieder gehen. Aber gegen 18 Uhr war er kurz weg gewesen.
»Sie hat doch nichts Schlimmes getan?«
»Nein, nichts, sie ist verschwunden.«
»Scheiße«, hatte er gesagt und sich am Kopf gekratzt. »Ein nettes Mädchen, die Kleine. Und höflich. Nicht wie gewisse Französinnen.«
»Sie ist Französin.«
»Das wollte ich damit nicht sagen,
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