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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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hinzugefügt, damit wir es auch alle verstanden: »Die Juden auch.«
    »Das motiviert nicht gerade zur Arbeit«, meinte ich.
    »Ich sehe nicht mehr hin.«
    »Schon, aber sie gehen dir nicht aus dem Kopf, oder?«
    Sie zuckte die Schultern, steckte sich eine Camel an und zog mich fort. »Eines Tages werden wir unsere Rechte geltend machen. Darum gehe ich wählen. Und ich bin nicht mehr die Einzige.«
    »Eure Rechte. Ja, vielleicht. Aber an deinem Aussehen wird das nichts ändern.«
    »Ach nee. Was ist denn mit meinem Aussehen. Gefalle ich dir etwa nicht?«
    »Sehr hübsch«, stotterte ich.
    Sie hatte ein Gesicht wie Maria Schneider im Letzten Tango in Paris. Genauso rund, umrahmt von den gleichen langen, lockigen Haaren. Nur waren ihre schwarz. Wie ihre Augen, die fest in meine sahen. Ich war rot angelaufen. In den letzten zwei Jahren hatte ich Leila oft gesehen. Ich wusste mehr über sie als ihr Vater. Wir hatten uns angewöhnt, einmal in der Woche zusammen zu Mittag zu essen. Sie erzählte von ihrer Mutter, die sie kaum gekannt hatte und vermisste. Die Zeit heilt gar nichts. Im Gegenteil. Driss' Geburtstag war jedes Jahr aufs Neue ein schwerer Moment. Für alle vier.
    »Deshalb ist Driss so geworden, nicht böse, aber gewalttätig, verstehst du. Wegen dem Fluch, der auf ihm lastet. Er hasst. Mein Vater hat mir mal gesagt: › Hätte ich damals wählen können, hätte ich mich für deine Mutter entschieden .‹ Er hat es mir erzählt, weil ich ihn als Einzige verstehen konnte.«
    »Das hat meiner auch gesagt, weißt du. Aber meine Mutter ist noch mal davongekommen. Und ich bin da. Der einzige Sohn. Und allein.«
    »Der Tod ist ein einsames Geschäft.« Sie lächelte. »Das ist der Titel eines Romans. Hast du den nicht gelesen?« Ich schüttelte den Kopf. »Er ist von Ray Bradbury. Ein Krimi. Ich leihe ihn dir. Du solltest mehr zeitgenössische Romane lesen.«
    »Sie interessieren mich nicht. Sie haben keinen Stil.«
    »Bradbury! Fabio!«
    »Bradbury vielleicht.«
    Und wir schweiften ab in große Diskussionen über die Literatur. Sie, die zukünftige Literaturprofessorin, und ich, der autodidak - tische Polizist. Die einzigen Bücher, die ich je gelesen hatte, waren die vom alten Antonin. Abenteuer-und Reisebücher. Und erwas Poesie: Marseiller Dichter, die heute in Vergessenheit geraten sind. Emile Sicard, Toursky, Gerald Neveu, Gabriel Audisio und Louis Brauquier, mein Lieblingsdichter.
    Dann reichten unsere wöchentlichen Mittagessen nicht mehr aus. Wir trafen uns an ein oder zwei Abenden in der Woche. Wenn ich keinen Dienst hatte und sie kein Babysitting machte. Ich holte sie in Aix ab, und wir gingen ins Kino und danach irgendwo essen.
    Wir stürzten uns auf alle fremdländischen Küchen zwischen Aix und Marseille, was uns monatelang beschäftigte. Wir verteilten Sterne hier, Minuspunkte dort. Ganz oben auf unserer Liste stand das Mille er une Nuits am Boulevard d'Athènes. Dort wurde auf orientalischen Sitzkissen von einer großen kupfernen Platte gegessen, dazu hörte man algerischen Rai. Marokkanische Küche, die raffinierteste des Maghreb. Nie wieder habe ich so gute Taubenpastete gegessen.
    An jenem Abend hatte ich das Tamaris vorgeschlagen, ein kleines griechisches Restaurant in der Bucht von Samena nicht weit von meiner Wohnung. Es war heiß. Eine schwere, trockene Hitze wie oft Ende August. Wir hatten einfache Gerichte bestellt: Gurkensalat mit Jogurt, gefüllte Weinblätter, Tarama, Spießchen mit hundert Gewürzen, gegrillt auf Weinranken mit einer Idee Olivenöl, Ziegenkäse. Zum Befeuchten ein weißer Retsina.
    Wir waren am steinigen Strand entlanggegangen und hatten uns dann auf die Felsen gesetzt. Es war eine großartige Nacht. In der Ferne zeigte der Leuchtturm von Planier das Kap an. Leila legte ihren Kopf an meine Schulter. Ihre Haare dufteten nach Honig und Kräutern. Sie ließ ihre Hand in die meine gleiten. Bei ihrer Berührung erschauerte ich. Mir blieb keine Zeit, mich loszumachen. Sie begann ein Gedicht von Brauquier zu rezitieren, auf Arabisch:
    Wir sind heute ohne Schatten und Geheimnis,
    arm und vom Geist verlassen.
    Gib uns den Geschmack nach Sünde und Erde wieder,
    der uns erregt und dem wir uns zitternd hingeben.

    »Ich habe es für dich übersetzt. Damit du es in meiner Sprache hörst.« Ihre Sprache war wie ihre Stimme. Weich wie türkischer Honig.
    Ich war bewegt. Ich drehte ihr mein Gesicht zu. Langsam, um ihren Kopf an meiner Schulter zu behalten und mich von ihrem Duft betören

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