Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
Vor zwei Stun - den war sie in dem kleinen, auf einem Felsvorsprung gelegenen Dorf in Cinque Terre angekommen. Beppe, ein alter Freund von Gianni, lebte hier. Sie hatte ihn vorsichtshalber erst mal angerufen, wie er ihr geraten hatte. Das ist sicherer, hatte er noch am selben Morgen hinzugefügt.
»Pronto. «
Babette hatte aufgelegt. Das war nicht Beppes Stimme. Dann hatte sie die beiden Wagen der Carabinieri auf der Hauptstraße stehen sehen. Sie zweifelte nicht eine Sekunde. Die Killer waren ihr zuvor - gekommen.
Sie war die ganze Strecke zurückgefahren, eine schmale, kurvenreiche Gebirgsstraße. Erschöpft klammerte sie sich ans Lenkrad, achtete jedoch aufmerksam auf die wenigen entgegenkommenden oder überholenden Wagen.
»Komm«, hatte Bruno gesagt.
Sie hatte ein armseliges Zimmer im Albergo Firenze e Continentale nicht weit vom Bahnhof gefunden. In der Nacht hatte sie kein Auge zugetan. Die Züge. Die greifbare Nähe des Todes. Alles kam ihr in Erinnerung, bis ins kleinste Detail. Ein Taxi hatte sie an der Piazza Campo dei Fiori abgesetzt. Gianni war aus Palermo zurückgekehrt. Er erwartete sie bei sich zu Haus. »Zehn Tage sind eine lange Zeit«, hatte er am Telefon gesagt. Auch für sie war es eine lange Zeit gewesen. Sie wusste nicht, ob sie Gianni liebte, aber ihr ganzer Körper sehnte sich nach ihm.
»Gianni! Gianni!«
Die Tür stand offen, aber sie hatte sich keine Gedanken darüber gemacht.
»Gianni!«
Er war da. An einen Stuhl gefesselt. Nackt. Tot. Sie schloss die Augen, aber zu spät. Sie wusste, dass sie von nun an mit diesem Bild leben musste.
Als sie die Augen wieder aufschlug, sah sie die Brandwunden an seinem Oberkörper, auf dem Bauch und an den Schenkeln. Nein, sie wollte nicht mehr sehen. Sie wandte den Blick ab von Giannis verstümmeltem Glied. Sie schrie. Sie sah sich schreiend, stocksteif mit hängenden Armen und weit aufgerissenem Mund. Ihr Schrei erstickte im Gestank von Blut, Scheiße und Pisse, der den Raum erfüllte. Die Luft blieb ihr weg, und sie musste kotzen. Zu Giannis Füßen. Dort, wo mit Kreide auf das Parkett geschrieben stand: »Geschenk für Mademoiselle Bellini. Bis später.«
Francesco, Giannis älterer Bruder, war am Morgen ihrer Abreise aus Orvieto ermordet worden. Beppe vor ihrer Ankunft.
Die Treibjagd hatte begonnen.
Bruno hatte sie an der Bushaltestelle in Saint-Jean-du-Gard abgeholt. Sie hatte nach jeder Etappe das Verkehrsmittel gewechselt: im Zug von La Spezia nach Ventimiglia, mit dem Leihwagen über den kleinen Grenzposten bei Menton, per Bahn bis Nîmes und schließ - lich mit dem Bus. Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Denn sie glaubte nicht, dass sie ihr folgten. Sie würden bei ihr zu Hause in Marseille auf sie warten. Das war logisch. Und die Logik der Mafia war unerbittlich. In den zwei Jahren ihrer Recherche hatte sie das immer wieder feststellen können.
Kurz vor Le Castellas, dort wo die Straße am oberen Rand des Tals verlief, hatte Bruno seinen alten Jeep angehalten.
»Komm, gehen wir ein Stück.«
Sie waren zum Gipfel hinaufgestiegen. Le Castellas war kaum zu erkennen, drei Kilometer weiter am Ende eines Feldwegs. Weiter ging es nicht.
»Hier bist du sicher. Wenn jemand hochkommt, ruft Michel, der Förster, mich an. Und wenn es jemand über einen der Bergkämme versuchen sollte, sagt Daniel uns Bescheid. Wir haben unsere Gewohnheiten nicht geändert, ich rufe viermal täglich an, er ruft viermal an. Wenn einer von uns sich nicht zur verabredeten Zeit meldet, ist was passiert. Als Daniel mit seinem Traktor umgekippt war, haben wir es auf die Weise erfahren.«
Babette hatte ihn sprachlos angesehen. Sie brachte nicht einmal ein »Danke« heraus.
»Und: Du brauchst mir nichts zu erklären.«
Bruno hatte sie in die Arme genommen, und sie hatte losgeheult.
Babette fröstelte. Die Sonne war untergegangen, und die Berge vor ihr stachen lila vom Himmel ab. Sie drückte ihre Kippe sorgfältig mit der Fußspitze aus, stand auf und stieg wieder nach Le Castellas hinunter. Beruhigt durch das täglich wiederkehrende Wunder des Sonnenuntergangs.
In ihrem Zimmer las sie noch einmal den langen Brief an Fabio durch. Sie berichtete alles seit ihrer Ankunft in Rom vor zwei Jahren. Bis zum grausamen Ende. Ihre Verzweiflung. Aber auch ihre Ent - schlossenheit. Sie würde nicht aufgeben. Sie würde ihre Nach - forschungen veröffentlichen. In einer Zeitung oder in einem Buch. »Das muss alles bekannt werden«, bekräftigte sie.
Sie hatte noch die
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