Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
abzusetzen. Er war gerade mal eine Woche in Marseille, als er hörte, dass der Direktor und sein Sohn innerhalb der Schulmauern ermordet worden waren. Er beschloss, mit seiner Frau und seinen Kindern in Marseille zu bleiben.
Es war seine Begeisterung für die Tuareg, die mich auf Anhieb für ihn einnahm. Die Wüste kannte ich nicht, aber das Meer. Es schien mir das Gleiche zu sein. Wir hatten lange darüber gesprochen. Über Erde und Wasser, Staub und Sterne. Eines Abends schenkte er mir einen Silberring, der mit Punkten und Strichen versehen war.
»Er kommt von dort. Die Zusammensetzung der Punkte und Linien ist das Khaten, verstehst du. Es sagt, was aus den Menschen wird, die du liebst und die fortgegangen sind, und was die Zukunft dir bringt.«
Perez hatte mir den Ring in die hohle Hand gelegt.
»Ich weiß nicht, ob ich das wirklich wissen will.«
Er hatte gelacht.
»Keine Sorge, Fabio. Du müsstest die Zeichen lesen können. Das Khat el R'mel. Und ich denke nicht, dass morgen schon aller Tage Abend ist! Aber was geschrieben steht, steht geschrieben, wie dem auch sei.«
Ich hatte noch nie im Leben einen Ring getragen. Nicht mal den meines Vaters, nach seinem Tod. Ich hatte einen Moment gezögert, dann hatte ich den Ring auf meinen linken Ringfinger gestreift. Wie um mein Leben endgültig mit meinem Schicksal zu verknüpfen. An jenem Abend hatte ich das Gefühl, endlich alt genug dafür zu sein.
Auf dem Bürgersteig tauschten wir, die Gläser in der Hand, einige Banalitäten aus, dann legte Perez mir den Arm um die Schulter.
»Ich hab eine Bitte.«
»Schieß los.«
»Ich erwarte jemanden, einen Freund aus meiner Heimat. Es wäre schön, wenn du ihn aufnehmen könntest. Nur für eine Woche. Bei mir ist es zu eng, du weißt ja.«
Er starrte mich mit seinen schwarzen Augen an. Ich hatte auch nicht mehr Platz. Die Hütte, die ich von meinen Eltern geerbt hatte, bestand nur aus zwei Zimmern. Ein kleines Schlafzimmer und eine große Wohnküche. Ich hatte die Hütte so gut ich konnte zusammen - geflickt, schlicht und ohne sie mit Möbeln voll zu stopfen. Ich fühlte mich wohl dort. Die Terrasse ging aufs Meer hinaus. Acht Stufen tiefer lag mein Boot, ein Fischerboot, das ich meiner Nachbarin Honorine abgekauft hatte. Perez wusste das. Ich hatte ihn mehrfach mit seiner Frau und ein paar Freunden zum Essen eingeladen.
»Ich wäre ruhiger, wenn er bei dir ist«, fügte er hinzu. ,.
Jetzt sah ich ihn an.
»Einverstanden, Didier. Wann kommt er?«
»Ich weiß noch nicht. Morgen, übermorgen, in einer Woche. Keine Ahnung. Es ist nicht leicht, du weißt ja. Ich ruf dich an.«
Als er gegangen war, setzte ich mich wieder an die Bar. Trank mit dem einen oder anderen und natürlich mit Hassan, der keine Runde ausließ. Ich lauschte den Gesprächen. Und der Musik. Nach der offiziellen Stunde für den Aperitif spielte Hassan jetzt Jazz statt Ferré. Er suchte die Stücke sorgfältig aus. Als ob er den richtigen Ton für die jeweilige Stimmung treffen wollte. Der Tod zog sich zurück, sein Geruch. Und kein Zweifel, ich bevorzugte den Anis - geruch.
»Ich ziehe den Anisgeruch vor«, hatte ich Hassan zugerufen.
Ich begann, langsam betrunken zu werden.
»Klar.«
Er hatte mir zugezwinkert. Ganz Komplize. Und Miles Davis hatte Solea angestimmt. Das Stück verehrte ich. Seit Lole mich verlassen hatte, hörte ich es nachts pausenlos.
»Die sole á «, hatte sie eines Abends erklärt, »ist das Rückgrat des gesungenen Flamenco.«
»Warum singst du eigentlich nicht? Flamenco, Jazz ...«
Sie hatte eine wunderschöne Stimme, das wusste ich. Pedro, einer ihrer Cousins, hatte es mir anvertraut. Aber Lole hatte sich immer geweigert, außerhalb des Familienkreises zu singen.
»Ich habe noch nicht gefunden, was ich suche«, hatte sie nach langem Schweigen geantwortet.
Genau dieses Schweigen fand sich bei intensivem Zuhören im Spannungsbogen der sole á wieder.
»Du verstehst überhaupt nichts, Fabio.«
»Was sollte ich denn verstehen?«
Sie hatte mich traurig angelächelt.
Das war während der letzten Wochen unseres gemeinsamen Lebens. Eine dieser Nächte, in der wir endlos diskutierten bis zur Erschöpfung, eine Kippe nach der anderen rauchten und in großen Zügen Lagavulin tranken.
»Sag es mir, Lole , was sollte ich verstehen?«
Sie hatte sich von mir entfernt, das spürte ich. Jeden Monat etwas weiter. Sogar ihr Körper hatte sich verschlossen. Die Leidenschaft hatte sich aus ihm zurückgezogen. Unser Begehren war
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