Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
nicht mehr erfinderisch. Wir hielten nur noch eine alte Liebesgeschichte auf - recht. Die Sehnsucht nach einer Liebe, die es eines Tages hätte geben können.
»Das ist nicht zu erklären, Fabio. Es geht um die Tragik des Lebens. Du hörst seit Jahren Flamenco und fragst dich immer noch, was es zu verstehen gibt.«
Es war ein Brief, ein Brief von Babette, der all das ausgelöst hatte. Ich hatte Babette kennen gelernt, als ich zum Leiter der Brigade sicherheitsgefährdeter Gebiete in den nördlichen Vierteln Marseilles ernannt worden war. Sie stand am Anfang ihrer journalistischen Karriere. Ihre Zeitung, La Marseillaise, hatte sie eher zufällig für das Interview mit dem seltenen Vogel ausgesucht, den die Polizei an die Front geschickt hatte, und wir waren im Bett gelandet. »Liebhaber in Transit« nannte Babette uns gern. Eines Tages waren wir dann Freunde geworden. Ohne uns jemals unsere Liebe gestanden zu haben.
Vor zwei Jahren hatte sie einen italienischen Rechtsanwalt ken nen gelernt. Gianni Simeone. Die Liebe schlug ein wie der Blitz. Sie war ihm nach Rom gefolgt. So, wie ich sie kannte, nicht nur aus Liebe. Ich hatte mich nicht geirrt. Ihr geliebter Rechtsanwalt war auf Mafia - prozesse spezialisiert. Und das war seit Jahren ihr Traum, seit sie als freie Reporterin groß rausgekomm e n war: die bislang gründlichste Untersuchung über die Verbindungen und den Einfluss der Mafia in Südfrankreich zu schreiben.
Babette hatte mir das alles erzählt, wie weit sie mit ihrer Arbeit war und was noch zu tun blieb, als sie wegen einiger lokaler wirtschaftlicher und politischer Hintergrundinformationen noch einmal nach Marseille gekommen war. Wir trafen uns drei-oder viermal zu gegrilltem Seewolf mit Fenchel bei Paul in der Rue Saint-Saëns und unterhielten uns über dies und jenes. Eins der wenigen Restaurants am Hafen, außer dem Oursin, in dem wir nicht wie Touristen abge - fertigt wurden. Die gespielte Verliebtheit bei unseren Wiedersehen war mir angenehm. Aber ich konnte nicht sagen, warum. Ich konnte es mir nicht erklären. Und Lole natürlich erst recht nicht.
Als Lole dann aus Sevilla zurückkam, wo sie ihre Mutter besucht hatte, sagte ich ihr nichts von Babette und unseren Treffen. Lole kannte ich seit meiner Jugend. Sie hatte Ugo geliebt. Danach Manu. Schließlich mich. Den letzten Überlebenden unserer Träume. Mein Leben barg keine Geheimnisse für sie. Auch nicht die Frauen, die ich geliebt und verloren hatte. Aber von Babette hatte ich ihr nie erzählt. Was zwischen uns gewesen war, schien mir zu kompliziert. Was noch zwischen uns war.
»Wer ist das, diese Babette, der du sagst, dass du sie liebst?«
Sie hatte einen Brief von Babette geöffnet. Versehentlich oder aus Eifersucht, was macht das schon für einen Unterschied. »Warum hat das Wort Liebe nur so viele verschiedene Bedeutungen«, hatte Babette geschrieben. »Wir haben uns gesagt, dass wir uns lieben ...«
» › Ich liebe dich ‹ heißt nicht gleich › Ich liebe dich ‹ «, hatte ich später gestammelt.
»Sag das noch mal.«
»Wie soll ich sagen: Ich liebe dich aus Treue zu einer Liebesge - schichte, die es nie gegeben hat, und ich liebe dich wegen einer wahren Liebesgeschichte, die sich jeden Tag aus tausend kleinen Glücksmomenten zusammensetzt.«
Ich war nicht offen genug gewesen. Nicht ehrlich genug. Ich hatte mich in falschen Erklärungen verheddert. Wirr und immer wirrer. So hatte ich Lole am Ende einer schönen Sommernacht verloren. Wir saßen beim Rest einer Flasche Weißwein aus Cinque Terre auf meiner Terrasse. Ein Vernazza, ein Mitbringsel von Freunden.
»Wusstest du das?«, hatte sie gefragt. »Wenn man nicht mehr leben kann, hat man das Recht zu sterben und mit seinem Tod noch ein letztes Mal die Funken sprühen zu lassen.«
Seit Lole gegangen war, hatte ich mir ihre Worte zu Eigen gemacht. Und ich suchte den Funken. Verzweifelt.
»Was hast du gesagt?«, fragte Hassan.
»Hab ich was gesagt?«
»Ich dachte.«
Er hatte eine neue Runde eingeschenkt, sich zu mir herübergeneigt und hinzugefügt: »Manchmal spricht das Herz deutlicher als die Zunge.«
Ich hätte es dabei belassen, austrinken und nach Hause fahren sol - len. Das Boot rausholen, hinter den Riou-Inseln aufs Meer hinaus - fahren und den Sonnenaufgang beobachten. Was mir im Kopf herumging, machte mir Angst. Der Geruch des Todes drängte sich wieder auf. Ich hatte den Ring von Perez mit den Fingerspitzen gestreift, ohne mir sicher zu sein, ob das ein gutes
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