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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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Schönheit des Sonnenuntergangs vor Augen und wollte den Brief in diesem Sinne beenden. Fabio einfach nur sagen, dass die Sonne über dem Meer immer noch schöner ist, nein, nicht schöner, aber wahrer, nein, auch nicht, dass sie gern mit ihm in seinem Boot draußen auf dem Meer vor der Insel Riou gesessen und zugesehen hätte, wie die Sonne im Meer versank.
    Sie zerriss den Brief. Auf ein leeres Blatt schrieb sie: »Ich liebe dich immer noch.« Und darunter: »Heb mir das gut auf.« Sie steckte fünf Disketten in einen wattierten Umschlag, klebte ihn zu und ging zum Abendessen mit Bruno und seiner Familie.

Erstes Kapitel
    In dem das Herz manchmal deutlicher
spricht als die Zunge

    Das Leben stank nach Tod.
    Das ging mir gestern Abend durch den Kopf, als ich Hassans Bar des Maraîchers betra t . Es war nicht nur so ein Gedanke, wie sie einem manchmal in den Sinn kommen, nein, ich roch den Tod wirklich um mich herum. Seinen Fäulnisgeruch. Widerlich. Ich hatte an meinem Arm gerochen. Es war abstoßend, derselbe Geruch. Auch ich stank nach Tod. Ich hatte mir gesagt: »Fabio, reg dich nicht auf. Du gehst jetzt nach Hause, nimmst schön eine Dusche und holst ganz ruhig dein Boot heraus. Etwas Frischluft vom Meer, und alles renkt sich wieder ein, du wirst schon sehen.«
    Es war wirklich heiß. Mindestens dreißig Grad bei einer drückenden Mischung aus Feuchtigkeit und Luftverschmutzung. Marseille erstickte. Und das machte Durst. So war ich, statt den direkten Weg über den Alten Hafen und die Comiche zu nehmen ‒ der kürzeste Weg zu mir nach Hause in Les Goudes ‒ , in die schmale Rue Curiol am Ende der Canebière eingebogen. Die Bar des Maraîchers lag ganz oben, nur wenige Schritte von der Place Jean-Jaurès entfernt.
    Bei Hassan fühlte ich mich wohl. Die Stammgäste verkehrten unabhängig von Alter, Geschlecht, Hautfarbe oder gesellschaftlicher Stellung miteinander. Dort war man unter Freunden. Wer hier seinen Pastis trank ‒ da konnte man sicher sein ‒ , wählte nicht Front National und hatte es nie getan. Kein einziges Mal in seinem Leben, wie manch anderer, den ich kannte. Hier in dieser Bar wusste jeder sehr genau, warum er nach Marseille und nirgendwo anders hin gehörte und warum er in Marseille lebte und nirgendwo sonst. In den Anisschwaden lag eine Vertrautheit, die schon in einem Blickwechsel Antwort fand: das Exil unserer Väter. Und das war beruhigend. Wir hatten nichts zu verlieren, Weil wir schon alles verloren hatten.

    Als ich hereinkam, sang Ferré:
    Ich spüre Züge kommen,
    beladen mit Brownings,
    Berettas und schwarzen Blumen,
    und Blumenhändler bereiten Blutbäder
    fü r die Nachrichten in Farbe ...
    Ich hatte einen Pastis an der Theke genommen, dann hatte Hassan nachgeschenkt, wie üblich. Ich zählte sie sowieso nicht, die Gläser. Irgendwann, vielleicht beim vierten, hatte Hassan sich zu mir geneigt: »Findest du nicht, dass die Arbeiterklasse im Arsch ist?«
    Genau genommen war das keine Frage. Eher eine Feststellung. Eine klare Aussage. Hassan war nicht von der geschwätzigen Art. Aber von Zeit zu Zeit warf er seinem Gegenüber gern einen kurzen Satz hin. Etwas zum Nachdenken.
    »Was soll ich dazu sagen«, hatte ich geantwortet.
    »Nichts. Es gibt nichts zu sagen. Alles geht seinen Gang. So ist das. Na, trink schon aus.«
    Allmählich füllte sich die Bar, die Temperatur stieg noch ein paar Grad. Aber draußen, wo manche ein paar Gläschen zwitscherten, war es keinen Deut besser. Die Nacht hatte nicht die geringste Abkühlung gebracht. Die Haut klebte vor Feuchtigkeit.
    Ich war hinausgegangen, um auf dem Bürgersteig mit Didier Perez zu reden. Er war zu Hassan hereingekommen und, kaum hatte er mich gesehen, direkt auf mich zugesteuert.
    »Dich hab ich gesucht.«
    »Du hast Glück, eigentlich wollte ich fischen gehen.«
    »Gehen wir raus?«
    Es war Hassan, der mir Perez eines späten Abends vorgestellt hatte. Perez war Maler. Fasziniert von der Magie der Zeichen. Wir waren etwa gleich alt. Seine Eltern stammten aus Almeria und waren nach Francos Sieg nach Algerien ausgewandert. Er selbst war dort geboren. Als Algerien unabhängig wurde, hatten wede r er noch seine Eltern Zweifel, was ihre Staatszugehörigkeit betraf: Sie waren Algerier.
    Perez hatte Algier 1993 verlassen. Als Lehrer an der Kunsthoch - schule war er einer der Führer der Föderation algerischer Künstler, Intellektueller und Wissenschaftler. Als die Morddrohungen sich zuspitzten, rieten Freunde ihm, sich für eine Weile

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