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Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
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Anfang an nicht zu übersehen war.
    Unser Begehren machte Lole schön. Dieses Begehren, das sie in unseren Augen sah. Wir wurden von der geheimnisvollen Tiefe ihres Blicks angezogen. Diesem weit entfernten Nirgendwo, aus dem sie kam und in das sie zu gehen schien. Eine Roma. Eine Reisende. Sie durchquerte den Raum, ohne dass die Zeit sie zu berühren schien. Sie war es, die gab. Ihre Liebhaber suchte sie selber aus. Sie wählte zwischen Ugo und Manu. Wie ein Mann. Auf dem Gebiet war sie unerreichbar. Eine Hand nach ihr auszustrecken, glich dem Versuch, ein Phantom umarmen zu wollen. E s blieb nur der Staub der Ewigkeit an den Fingerspitzen hängen, dieser Straßenstaub einer endlosen Reise. Das wusste ich. Weil ich ihren Weg einmal gekreuzt hatte. Wie zufällig.
    Ich hatte sie am Flughafen abgeholt und zum Leichenschauhaus gefahren. Um ihn noch ein letztes Mal zu sehen. Manu hatte nur noch uns als Begleiter. Ich meine, die ihn liebten. Drei seiner Brüder kamen zum Friedhof. Ohne Frau und Kinder. Manus Tod war eine Erleichterung für sie. Sie schämten sich. Wir hatten kein Wort miteinander gesprochen. Nachdem sie gegangen waren, blieben Lole und ich vor dem Grab stehen. Ohne Tränen. Aber mit zuge - schnürter Kehle. Manu war gegangen, und mit ihm ein Teil unserer Jugend. Als wir vom Friedhof kamen, hatten wir uns ein Glas genehmigt. Cognac. Zwei, drei, wortlos. Im Zigarettenqualm.
    »Willst du was essen?«
    Ich wollte das Schweigen brechen. Sie zuckte mit den Schultern und gab dem Kellner ein Zeichen, uns noch mal das Gleiche zu bringen. »Danach gehen wir«, sagte sie und suchte Zustimmung in meinen Augen.
    Es war dunkel. Nach dem Regen der letzten Tage blies ein eisiger Mistral. Ich hatte sie bis zu dem kleinen Haus begleitet, das Manu in L'Estaque gemietet hatte. Ich war nur einmal dort gewesen. Vor fast drei Jahren. Manu und ich hatten eine stürmische Diskussion geführt. Er war in eine Schieberei mit gestohlenen Wagen nach Algerien verwickelt. Das Netz würde zusammenbrechen, und er würde in den Maschen hängen bleiben. Ich war gekommen, um ihn zu warnen. Er sollte aussteigen. Wir tranken Pastis in dem kleinen Garten. Er hatte gelacht.
    »Du machst dir in die Hosen, Fabio! Misch dich da nicht ein.«
    »Ich bin extra hergekommen, Manu.«
    Lole sah uns schweigend an. Sie trank in kleinen Schlucken und zog langsam an ihrer Zigarette.
    »Trink aus und verpiss dich. Ich habe es satt, mir deinen Blödsinn anzuhören.«
    Ich hatte mein Glas ausgetrunken. Ich war aufgestanden. Er lächelte sein zynisches Lächeln schlechter Tage. Ich hatte es zum ersten Mal nach unserem katastrophalen Einbruch in die Apotheke bei ihm gesehen. Und nie vergessen. Diese tief sitzende Verzweiflung, die aus seinen Augen sprach. Wie ein Wahn, der auf alles eine Antwort wusste. Ein Blick à la Artaud, dem er immer ähnlicher sah, seit er seinen Schnurrbart abgenommen hatte.
    »Vor langer Zeit habe ich dich wie einen Scheißspanier behandelt. Das war ein Fehler. Du bist nur ein mieser Schuft.«
    Und bevor er reagieren konnte, hatte ich ihm einen Kinnhaken verpasst. Er war in einen mickrigen Rosenstrauch geflogen. Ruhig und kühl war ich zu ihm gegangen.
    »Steh auf, du Schuft.«
    Kaum stand er, hatte er meine linke Faust im Magen und die rechte in der Fresse. Er landete wieder in den Rosen.
    Lole hatte ihre Zigarette ausgedrückt und kam auf mich zu. »Hau ab. Und lass dich hier nie wieder blicken.«
    Diese Worte hatte ich nicht vergessen. Vor ihrer Tür hatte ich den Motor laufen lassen. Lole sah mich an und stieg dann wortlos aus. Ich folgte ihr. Sie ging direkt ins Badezimmer. Ich hörte das Wasser laufen. Ich schenkte mir einen Whisky ein und machte Feuer im Kamin. Sie kam in einem gelben Bademantel wieder. Sie schnappte sich ein Glas und die Flasche Whisky, zog eine weiche Matratze vor den Kamin und setzte sich ans Feuer.
    »Du solltest eine Dusche nehmen«, sagte sie, ohne sich umzudrehen. »Dir den Tod abwaschen.«
    Wir waren stundenlang sitzen geblieben und hatten getrunken. Im Dunkeln. Schweigend. Ab und zu legten wir Holz nach. Oder eine neue Schallplatte auf: Paco de Lucia, Sabicas, Django. Schließlich Billie Holiday, ihr gesamtes Werk. Lole hatte sich an mich geschmiegt. Ihr Körper war heiß. Sie zitterte.
    Es war fast Mitternacht. Geisterstunde. Das Feuer knisterte im Kamin. Seit Jahren hatte ich von Loles Körper geträumt. Jetzt war die Lust zum Berühren nahe. Ihre Schreie ließen mir das Blut in den Adern gefrieren.

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