Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
Dégust' Mars C er Yé, einem weiteren Raï-, Ragga-und Reggae-Schuppen. Bra, der Wirt, war ein ehemaliger Junkie, erzählte mir Marie-Lou. Er hatte im Knast gesessen. Dieser Nachtclub war sein Traum. »Hier seid ihr zu Haus«, stand in gro ßen Buchstaben inmitten hundert er von Graffiti. Das Dégust ' sah sich gern als ein Ort, wo das Leben strömte. Was strömte, war der Tequila. Ein letztes Glas auf den Weg. Kurz vor der Liebe. Die Augen ineinander versunken und die Körper unter Hochspannung.
Die Rue d'Aubagne hinunterzugehen, war zu jeder Tageszeit eine Weltreise. Eine nicht abbrechende Kette von Läden und so viele Restaurants, wie es Anlegeplätze gab. Italien, Griechenland, Türkei, Libanon, Madagaskar, Réunion, Thailand, Vietnam, Afrika, Marok - ko, Tunesien, Algerien. An der Spitze das Arax, die beste orienta - lische Zuckerbäckerei. Ich hatte nicht den Mut, meinen Wagen vom Revier zu holen und nach Hause zu fahren. Nicht einmal zum Fischen hatte ich Lust. An der Rue Longue-des-Capucins war Markt. Koriander-, Kümmel-und Currydünste mischten sich mit frischer Minze. Die Gerüche des Orients. Ich hielt mich rechts entlang der Halle Delacroix. Schließlich kehrte ich in ein Bistro ein und bestellte einen doppelten Mokka und belegte Brote.
Die Schießerei auf dem Opernplatz war in den Schlagzeilen. Seit Zuccas Hinrichtung, so die Journalisten, verfolgte die Polizei Al Dakhils Spur. Alle erwarteten eine Abrechnung. 1:0, dabei konnte es offensichtlich nicht bleiben. Gestern Abend hatte Argues Mann - schaft durch schnelles, überlegtes Handeln verhindern können, dass der Opernplatz sich in eine wahre Kampfarena verwandelte. Keine verletzten Passanten, nicht einmal ein zerbrochenes Fenster. Fünf Ganoven tot. Volltreffer. Und jeder wartete auf die Fortsetzung.
Im Geiste sah ich Morvan wieder den Platz überqueren und mit der flachen Hand gegen das geparkte Taxi schlagen. Ich sah Argue aus der Commanderie kommen, ein Lächeln auf den Lippen und die Hände in den Taschen. Das Lächeln hatte ich vielleicht erfunden. Ich wusste es nicht mehr.
Die beiden Ganoven, Jean-Luc Trani und Pierre Bogho, die das Feuer eröffnet hatten, standen auf der Fahndungsliste. Aber es waren nur zwei erbärmliche Schläger: ein bisschen Zuhälterei, ein biß- chen Einbruch, ein paar Diebstähle. Aber nichts, was sie an die Spitze der Hitparade des Ganoventums gebracht haben könnte. Dass sie sich an so ein großes Ding herangewagt hatten, war ver - blüffend. Wer steckte dahinter? Das war die zentrale Frage. Aber Argue gab keinen Kommentar ab. Es war seine Art, so wenig wie möglich zu sagen.
Nach einem zweiten doppelten Mokka fühlte ich mich kein Stück besser. Ich hatte einen fürchterlichen Kater. Aber ich zwang mich weiter. Ich kreuzte die Canebière, ging den Cours Belsunce, dann die Rue Colbert hinauf. An der Avenue de la République nahm ich die Montée des Folies-Bergères und die Abkürzung durch das Panier-Viertel. Rue de Lorette, Rue du Panier, Rue des Pistoles. Kurze Zeit später f ummelte ich mit meinem Dietrich in Loles Türschloss herum. Ein schlechtes Schloss. Es hielt nicht lange stand. Ich auch nicht. Im Schlafzimmer ließ ich mich aufs Bett fallen. Erschöpft. Den Kopf voller düsterer Gedanken. Nur nicht denken. Schlafen.
Ich war wieder eingeschlafen. Ich war schweißgebadet. Hinter den Fensterläden spürte ich die Hitze, schwer und drückend. Zwanzig nach zwei schon. Es war Samstag. Pérol hatte bis morgen Abend Bereitschaftsdienst. Ein freies Wochenende hatte ich nur einmal im Monat. Wenn Pérol Dienst hatte, konnte ich mir das Kissen über beide Ohren ziehen. Er war ein besonnener Polizist. Und wenn es ernst wurde, fand er mich, egal wo in Marseille. Wenn Cerutti mich vertrat, war ich unruhiger. Er war jung. Er träumte davon, sich zu prügeln. Er musste noch alles lernen. Es wurde Zeit, mich zu rühren. Morgen würde Honorine wie jeden freien Sonntag zum Essen kommen. Auf der Speisekarte stand immer Fisch. Und der Fisch, das war die Regel, musste gefangen werden.
Die kalte Dusche brachte mich nicht auf neue Gedanken. Ich irrte nackt in der Wohnung umher. Loles Wohnung. Ich wusste immer noch nicht, warum ich eigentlich hergekommen war. Lole war der gemeinsame Anziehungspunkt für Ugo, Manu und mich. Nicht nur wegen ihrer Schönheit. Sie wurde erst spät zu einer wirklichen Schönheit. Als Jugendliche war sie mager und kaum entwickelt. Im Gegensatz zu Zina und Kali, deren erotische Ausstrahlung von
Weitere Kostenlose Bücher