Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea

Titel: Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Claude Izzo
Vom Netzwerk:
Millionen von Messern durchbohrten meinen Körper. Ich wandte mich wieder dem Feuer zu. Ich zündete zwei Zigaretten an und gab Lole eine.
    »Wie gehts?«, hatte sie gefragt.
    »Schlechter gehts nicht mehr. Und dir?«
    Ich stand auf und stieg in meine Hose. Ich spürte ihren Blick auf mir, während ich mich anzog. Einen Augenblick sah ich sie lächeln. Ein mattes Lächeln, aber nicht traurig.
    »Das ist widerlich«, sagte ich.
    Sie stand auf und kam zu mir. Nackt, ohne Scham. Ihr Gang war zärtlich. Sie legte ihre Hand auf meine Brust. Ihre Finger glühten. Ich hatte das Gefühl, sie brandmarkte mich. Fürs Leben. »Was wirst du jetzt tun?«
    Ich wusste keine Antwort auf ihre Frage. Ich wusste die Antwort auf ihre Frage nicht.
    »Was ein Bulle halt so tun kann.«
    »Ist das alles?«
    »Das ist alles, was ich tun kann.«
    »Du kannst mehr, wenn du willst. Zum Beispiel mit mir schlafen.«
    »Hast du es deswegen gemacht?«
    Ich sah die Ohrfeige nicht kommen. Sie kam aus vollem Herzen.
    »Ich mache keinen Tauschhandel. Ich erpresse nicht. Ich feilsche nicht. Man kann mich weder besitzen noch einfach beiseite schieben. Ja, du hast Recht, es ist wi-der-lich.«
    Sie öffnete die Tür. Dabei sah sie mir fest in die Augen. Ich fühlte mich wie das letzte Arschloch. Ehrlich. Ich schämte mich. Ein letzter Blick auf ihren Körper, ihre Schönheit. Ich wusste, was ich alles verlieren würde, als die Tür hinter mir zuschlug.
    »Verpiss dich!«
    Sie hatte mich zum zweiten Mal hinausgeschmissen. Ich saß auf dem Bett. Ich blätterte in einem Buch von Christian Dotremont, das auf anderen Büchern und Broschüren gelegen hatte, die unter das Bett gerutscht waren. Grandhotel für Miet-Koffer. Den Autor kannte ich nicht.
    Lole hatte Satzteile und Gedichte mit einem gelben Marker angestrichen.

    Manchmal klopfe ich nicht an dein Fenster
    antworte nicht auf deine Stimme
    reagiere nicht auf deine Geste
    um mit dem Meer allein zu sein
    das uns umschließt.
    Plötzlich kam ich mir wie ein Eindringling vor. Ängstlich legte ich das Buch beiseite. Ich musste gehen. Ich warf einen letzten Blick ins Schlafzimmer, dann ins Wohnzimmer. Seltsam, alles war sehr ordentlich, die Aschenbecher sauber, die Küche aufgeräumt. Alles war da, als ob Lole von einer Minute zur nächsten wiederkommen würde. Und gleichzeitig war alles, als wäre sie für immer gegangen, als hätte sie sich endlich von dem Ballast der Erinnerungen befreit, der ihr bisheriges Leben eingeengt hatte: Bücher, Fotos, Krims - krams, Schallplatten. Aber wo war Lole ? Mangels Antwort goss ich das Basilikum und die Minze. Zärtlich. Aus Liebe zu den Düften. Und zu Lole .
    Drei Schlüssel hingen an einem Haken. Ich probierte sie. Die Haustür-und Briefkastenschlüssel, zweifellos. Ich schloss ab und steckte sie in die Tasche.
    Ich ging an der Alten Charité vorbei, dem - unvollendeten -Meisterwerk von Pierre Puget. Das alte Hospiz hatte die Pestkranken des letzten Jahrhunderts aufgenommen, die Bedürftigen Anfang dieses Jahrhunderts und schließlich alle, die nach dem Befehl zur Zerstörung des Viertels von den Deutschen vertrieben worden waren. Es war Zeuge des Elends gewesen. Jetzt funkelte es in neuer Pracht. Großartig in seinen Linien, die der rötliche Stein hervorhob. Die Gebäude beherbergten mehrere Museen, und die große Kapelle war ein Ausstellungsort geworden. Es gab eine Bücherei und sogar eine Teestube mit Restaurantbetrieb. Alles, was Marseille an Intel - lektuellen und Künstlern aufzubieten hatte, kam hierher, um sich sehen zu lassen, fast so regelmäßig, wie ich fischen ging.
    César hatte dort eine Ausstellung, dieses Marseiller Genie, das mit seinen »compressions« von allem möglichen Zeug einen ge waltigen Reichtum angehäuft hatte. Die Marseiller machten sich darüber lustig. Mich kotzte es an. Die Touristen kamen in Strömen. Ganze Wagenladungen. Italiener, Spanier, Engländer, Deutsche. Und natürlich Japaner. So viel Kitsch und Geschmacklosigkeit an einem Ort so vieler Leidensgeschichten schien mir symbolisch für dieses Ende des Jahrhunderts.
    Marseille war dem Pariser Größenwahn verfallen. Es sah sich als Hauptstadt. Hauptstadt des Südens. Und vergaß dabei, dass es nur aufgrund des Hafens eine Großstadt war. Ein Schmelztiegel. Seit Jahrhunderten. Seit Protis seinen Fuß ans Ufer gesetzt und sich mit der schönen Gyptis, einer ligurischen Prinzessin, vermählt hatte.
    Djamel kam die Rue Rodillat hinauf. Er erstarrte. Überrascht, mich zu treffen.

Weitere Kostenlose Bücher