Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
Aber es blieb ihm nichts anderes übrig, als in meiner Richtung weiterzugehen. Zweifellos hoffte er, dass ich ihn nicht erkennen würde.
»Wie gehts, Djamel?«
»Gut, M'sieur«, murmelte er mit halb geschlossenen Lippen. Er sah sich nach allen Seiten um. Ich wusste, dass es ihm peinlich war, im Gespräch mit einem Bullen gesehen zu werden.
Ich nahm ihn beim Arm.
»Komm, ich geb dir einen aus.«
Mit dem Kopf deutete ich auf die Bardes Treize-Coins an Stück weiter unten. Meine Kantine. Das Polizeihauptquartier lag nur fünfhundert Meter unterhalb der Passage des Treize-Coins auf der anderen Seite der Rue Sainte-Françoise. Ich war der einzige Polizist, der hierher kam. Die anderen hatten ihre Stammlokale weiter unten, an der Rue de l'Évêché oder am Platz Trois-Cantons, je nach Neigung.
Trotz der Hitze setzten wir uns hinein. Vor Blicken geschützt. Ange, der Wirt, brachte uns zwei Halbe.
»Und das Mofa? Hast du es gut weggestellt?«
»Ja, M'sieur. Wie Sie gesagt haben.« Er trank einen Schluck, musterte mich verstohlen. »Hörn Sie, M'sieur. Die haben mir schon n ganzen Haufen Fragen gestellt. Muss ich wieder von vorne an - fangen?«
Jetzt war es an mir, überrascht zu sein. »Wer denn?«
»Bist du kein Bulle?«
»Ich hab dich was gefragt.«
»Die anderen.«
»Welche anderen?«
»Na, die anderen. Die geballert haben. Heiße Sache. Ham gesagt, sie können mich einkassiern wegen Beihilfe zum Mord. Wegen dem Mofa. Hat der echt einen umgelegt?«
Eine Hitzewelle durchflutete meinen Körper. Sie wussten es also. Ich trank mit geschlossenen Augen. Ich wollte nicht, dass Djamel meine Bestürzung mitbekam. Der Schweiß rann mir über die Stirn und die Wangen in den Hals. Sie wussten Bescheid. Ich bekam eine Gänsehaut bei dem Gedanken.
»Wer war der Typ?«
Ich öffnete die Augen. Ich bestellte ein neues Bier. Ich hatte einen trockenen Mund. Ich hatte Lust, Djamel zu erzählen: Manu, Ugo und ich. Die Geschichte dreier Kumpel. Aber wie ich die Geschichte auch drehen und wenden würde, er würde nur Manu und Ugo behalten. Nicht den Bullen. Beim Bullen kriegte er das Kotzen. Die Verkörperung der Ungerechtigkeit.
Polizei-Maschinerie, Brutstätte f ü r Tollwütige
abgesegnet durch die Justiz auf die ich pisse...
... brüllten die NTM, die Rapper von Saint-Denis. Ein Hit bei den Jugendlichen der Vororte, trotz des Boykotts der meisten Radios. Der Bullenhass vereinigte sie. Zugegeben, man half ihnen nicht, ein anderes Bild von uns zu bekommen. Für dieses Wissen wurde ich bezahlt. Und »sympathischer Bulle« stand mir nicht auf die Stirn geschrieben. Der ich übrigens nicht war. Ich glaubte an die Justiz, an das Gesetz, an das Recht. An all das, was niemand respektierte, weil wir es selber als Erste mit Füßen traten.
»Ein Ganove«, habe ich gesagt.
Djamel scherte sich einen Dreck um meine Antwort. Ein Bulle konnte nur so eine Antwort geben. Er hatte nicht erwartet, dass ic h sagte: »Er war ein guter Kerl und außerdem mein Kamerad.« Aber vielleicht hätte ich genau das sagen sollen. Vielleicht. Aber ich wusste überhaupt nicht mehr, was ich Kids wie ihm antworten sollte, Jugendlichen, wie sie mir täglich in den Siedlungen begegneten. Einwanderersöhne ohne Arbeit, ohne Zukunft, ohne Hoffnung.
Sie brauchten nur die Nachrichten im Fernsehen einzuschalten, um mitzubekommen, dass man ihren Vater gelinkt hatte und sie selber noch mehr linken würde. Driss hatte mir erzählt, dass einer seiner Kumpel, Hassan, mit seinem ersten Gehalt zur Bank gegangen war. Er bebte vor Glück. Endlich fühlte er sich respektabel, sogar mit einem Hungerlohn. »Ich brauchte 'n Kredit über 30 Mille, M'sieur. Um meinen Wagen zu bezahlen.« Bei der Bank hatten sie ihm ins Gesicht gelacht. An dem Tag hatte er verstanden. Djamel wusste es schon. Und ich erkannte Manu, Ugo und mich in seinen Augen. Vor dreißig Jahren.
»Kann ich das Mofa wieder rausholen?«
»Du solltest es einschmelzen, wenn du meine Meinung hören willst.«
»Die anderen harn gesagt, es war kein Problem.« Er sah mich wieder verstohlen an. »Hab ihnen nicht gesagt, dass Sie mich drum gebeten harn.«
»Was?«
»Es zu verstecken. Und alles.«
Das Telefon klingelte. Ange gab mir von der Theke ein Zeichen. »Pérol, für dich.«
Ich nahm den Hörer. »Woher wusstest du, dass ich hier bin?«
»Vergiss es, Fabio. Man hat die Kleine gefunden.«
Ich fühlte, wie der Boden unter meinen Füßen nachgab. Ich sah Djamel aufstehen und die Kneipe verlassen, ohne
Weitere Kostenlose Bücher