Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
bei einer willkürlichen Ausweiskontrolle vertei - digt werden musste.
Wir hatten fertig gegessen, die Flasche Bandol ausgetrunken und zwei Tassen Kaffee gekippt.
»Gehen wir 'n bisschen bummeln?«
Das war das Stichwort. Ein bisschen bummeln hieß, den richtigen Plan für diese Nacht zu machen. Ich hatte mich von ihr führen lassen. Wir hatten mit dem Trolleybus am Quai de Rive-Neuve ange - fangen. Ein Tempel, von dem ich zum ersten Mal hörte. Darüber musste Marie-Lou lächeln.
»Aber was fängst du mit deinen Nächten an?«
»Ich fange Goldbrassen.«
Sie lachte. In Marseille ist eine Goldbrasse auch ein schönes Mäd - chen. Das frühere Galeerenarsenal mündete in einen Gang voller Fernsehschirme. Am Ende, unter den Bögen, wurde in verschiedenen Sälen Rap, Techno, Rock und Reggae gespielt. Es gab Tequila für den Anfang und Reggae gegen den Durst. Wie lange hatte ich nicht mehr getanzt? Ein Jahrhundert. Tausend Jahre. Wir wechselten stündlich die Kneipe. Das Passeport, das Maybe Blues, das Pèle-Mèle. Schauen wir weiter, gehen wir dorthin, wie in Spanien.
Schließlich landeten wir im Pourquoi in der Rue Fotia. Der Wirt kam von den Antillen. Wir hatten schon schwer einen in der Krone. Ein Grund mehr, weiterzumachen. Tequila. Und Salsa! Unsere Körper fanden sich schnell in den Takt. Eng aneinander geschmiegt.
Zina hatte mir das Salsatanzen beigebracht. Sie war sechs Monate lang meine Freundin gewesen, bis ich zur Armee ging. Später waren wir uns in Paris wieder begegnet, meinem ersten Arbeitsplatz als Polizist. Wir gingen nachts abwechselnd ins Chapelle in der Rue des Lombards und ins L'Escale in der Rue Monsieur-le-Prince. Ich traf mich gern mit Zina. Ihr war es egal, dass ich Bulle war. Wir waren gute Freunde geworden. Sie brachte mir regelmäßig Nachrichten »von unten«, von Manu und Lole . Manchmal von Ugo, wenn er ein Lebenszeichen von sich gab.
Marie-Lou wurde immer leichter in meinen Armen. Sie schwitzte Kräuter aus: Moschus, Zimt, Pfeffer. Auch Basilikum, wie Lole . Ich mochte würzigen Körpergeruch. Je steifer mein Schwanz wurde, desto deutlicher spürte ich ihren Bauch auf meinem. Wir wussten, dass wir im Bett landen würden, und wollten es so lange wie mög - lich hinausschieben. Bis die Begierde unerträglich wurde. Denn da - nach würde uns die Realität einholen. Ich würde wieder ein Bulle sein und sie eine Prostituierte.
Gegen sechs wachte ich auf. Marie-Lous bronzefarbener Rücken erinnerte mich an Lole . Ich trank eine halbe Flasche Badoit, zog mich an und ging hinaus. Auf der Straße überkam sie mich. Die Gewis - senskrise. Wieder dieses Unbefriedigtsein, das mich quälte, seit Rosa mich verlassen hatte. Ich hatte die Frauen geliebt, mit denen ich zusammengelebt hatte. Alle. Und leidenschaftlich. Sie hatten mich auch geliebt. Aber zweifellos ernsthafter. Sie hatten mir eine Zeit ihres Lebens geschenkt. Zeit spielt eine entscheidende Rolle im Leben einer Frau. Für sie ist sie wirklich, für den Mann relativ. Sie hatten mir viel gegeben. Und was hatte ich ihnen geboten? Zärtlichkeit. Lust. Spontanes Glück. Auf diesen Gebieten war ich nicht schlecht. Aber danach?
Nach der Liebe ging bei mir alles kaputt. Ich gab nichts mehr. Konnte nichts mehr nehmen. Nach der Liebe wechselte ich die Seiten. Ich kehrte ins fest abgesteckte Gebiet meiner Regeln, Gesetze und Codes zurück. In das Reich der fixen Ideen bis an die Grenze des Wahnsinns. Wo ich mich verliere. Wo ich die verliere, die sich hineintrauen. Leila hätte ich bis dahin mitnehmen können. In diese Wüstenei aus Trauer, Wut, Schreien, Tränen und Verachtung. All das, was am Ende des Weges steht. Und ich bin nicht da. Abgehauen. Feige. Aus Angst, zurückzukommen und zu sehen, wie es auf der anderen Seite der Grenze ist. Vielleicht mochte ich das Leben nicht, Rosa hatte das eines Abends gesagt.
Die Nacht mit Marie-Lou, mit Küssen gegen Bezahlung, hatte mich zumindest eines gelehrt: In der Liebe war ich ein Verlierer. Die geliebten Frauen hätten die Frauen meines Lebens sein können. Von der Ersten bis zur Letzten. Aber ich hatte nicht gewollt. Plötzlich war ich wütend. Wütend auf Marie-Lou, auf mich, auf die Frauen und die ganze Welt.
Marie-Lou wohnte in einem kleinen Appartement oben an der Rue d'Aubagne, gleich oberhalb der kleinen Metallbrücke, die über den Cours Lieutaud zum Cours Julien führt, in einem der neuen Viertel von Marseille, die in waren. Dort hatten wir schwankend noch ein letztes Glas getrunken, im
Weitere Kostenlose Bücher