Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
Ängste. Linderten meine Schmerzen. Karibisches Glück. Der graue Himmel hing tief, aber durchzuckt von heftigem Leuchten. Das Meer nahm eine metallic-blaue Farbe an. Ich mochte es, wenn Marseille in den Farben von Lissabon erstrahlte.
Sanchez wartete schon auf mich. Ich war überrascht. Ich hatte mir eine Art Mia mit großer Klappe vorgestellt. Er war klein und rundlich. An seiner Art zu grüßen merkte ich, dass er nicht von der mutigen Sorte war. Schlapper Händedruck, gesenkte Augen. Der Typ, der immer ja sagt, auch wenn er nein denkt.
Er hatte Angst. »Wissen Sie, ich bin Familienvater«, sagte er, als er mir ins Büro folgte.
»Nehmen Sie Platz.«
»Und ich habe drei Kinder. Rote Ampeln, Geschwindigkeitsbe - grenzungen, denken Sie doch nur, wenn ich einen Patzer mache. Ich verdiene unsere Brötchen mit meinem Taxi. Also ...«
Er reichte mir ein Blatt Papier. Namen, Adressen, Telefonnummern. Vier. Ich sah ihn an.
»Sie können es Ihnen bestätigen. Zu der Zeit, die Sie meinen, war ich mit ihnen zusammen. Bis elf Uhr dreißig. Danach bin ich wieder Taxi gefahren.«
Ich legte das Blatt vor mich hin, steckte mir eine Zigarette an und sah ihm in die Augen. Blutunterlaufene Schweinsaugen. Er senkte den Blick sehr schnell. Er hielt sich die Hände, hörte nicht auf, sie gegeneinander zu reiben. Auf seiner Stirn perlte der Schweiß.
»Schade, Monsieur Sanchez.« Er sah auf. »Wenn ich Ihre Freunde vorlade, müssen sie eine falsche Aussage machen. Sie werden ihnen Ärger bereiten.« Er sah mich aus seinen roten Augen an. Ich öffnete eine Schublade, griff irgendeine Akte, schön dick, legte sie vor mich hin und begann darin zu blättern.
»Sie können sich sicher denken, dass wir Sie wegen einer läppi - schen roten Ampel nicht herbestellt hätten.« Er bekam große Augen. Jetzt schwitzte er ganz gemein. »Es ist ernster. Viel ernster, M'sieur Sanchez. Ihre Freunde werden es bereuen, Ihnen vertraut zu haben. Und Sie ... «
»Ich war da. Von neun bis elf.«
Er hatte es herausgeschrien. Die Angst. Aber er schien mir ehrlich zu sein. Das erstaunte mich. Ich beschloss, ihn nicht weiter zu über - listen.
»Nein, Monsieur«, antwortete ich fest. »Ich habe acht Zeugen. Sie wiegen mehr als Ihre. Acht Polizisten im Dienst.« Er öffnete den Mund, bekam aber keinen Laut heraus. Hinter seinen Augen konnte ich alle Katastrophen dieser Welt ablaufen sehen. »Um 22.15 Uhr war Ihr Taxi in der Rue Corneille vor der Commanderie. Ich kann Sie wegen Beihilfe zum Mord anklagen.«
»Das war ich nicht«, sagte er mit schwacher Stimme, »das war nicht ich. Ich werde es Ihnen erklären.«
Achtes Kapitel
In dem Schlaflosigkeit
keine Fragen l ö st
Sanchez war schweißgebadet. Dicke Schweißtropfen rannen von seiner Stirn. Er wischte sie mit dem Handrücken weg. Am Hals schwitzte er genauso. Jetzt kramte er ein Taschentuch hervor, um sich abzutupfen. Ich begann seinen Schweiß zu riechen. Er rutschte unaufhörlich auf seinem Stuhl hin und her. Wahrscheinlich musste er pissen. Vielleicht war sein Slip schon nass.
Ich mochte Sanchez nicht, aber er war mir auch nicht völlig zuwider. Er war sicher ein guter Familienvater. Er arbeitete hart, jede Nacht. Wenn seine Kinder zur Schule gingen, schlief er noch. Wenn sie wiederkamen, stieg er in sein Taxi. Bestimmt sah er sie kaum. Nur an seinen seltenen freien Wochenenden. Einmal im Monat wahrscheinlich. Anfangs hatte er mit seiner Frau geschlafen, wenn er nach Hause kam. Er weckte sie auf, das mochte sie nicht. Er hatte aufgegeben und begnügte sich seitdem ein paar Mal wöchentlich mit einer Hure. Vor der Arbeit oder danach. Mit seiner Frau war es sicher nur noch einmal im Monat, wenn sein freier Tag auf einen Samstag fiel.
Meinem Vater war es genauso gegangen. Er war Schriftsetzer bei der Tageszeitung La Marseillaise. Gegen fünf Uhr abends ging er in die Redaktion. Ich war mit seiner Abwesenheit groß geworden. Wenn er spätnachts nach Hause kam, gab er mir einen Gutenacht - kuss. Er roch nach Blei, Tinte und Zigaretten. Das weckte mich nicht auf. Wenn er es vergaß, und das kam vor, hatte ich schlechte Träume. Ich stellte mir vor, dass er uns verließ, meine Mutter und mich. Mit zwölf, dreizehn Jahren träumte ich oft, dass es eine andere Frau gab in seinem Leben. Sie sah aus wie Gélou. Er betätschelte sie. Später kam statt meines Vaters Gélou, um mich zu küssen. Das erregte mich. Ich hielt Gélou fest, um sie zu streicheln. Sie stieg in mein Bett. Dann kam mein Vater.
Weitere Kostenlose Bücher