Marseille Trilogie - Total Cheops, Chourmo, Solea
und mich in den blauen Laken ausgestreckt, erschöpft. Mit Loles Blick auf mir. Ihrem Blick, wenn ihr Körper über meinen glitt. Tausendjährige Irrfahrten glänzten darin wie Anthrazit. Sie war leicht wie Straßen - staub. Suche den Wind, und du findest den Staub, sagten ihre Augen.
Ich schlief nicht lange. Eine Viertelstunde. Zu viel ging mir im Kopf herum. Wir hatten eine kleine Zusammenkunft mit Pérol und Cerutti abgehalten. In meinem Büro. Das Fenster stand weit offen, aber kein Lufthauch regte sich. Der Himmel hatte sich wieder zugezogen. Aber das erlösende Gewitter ließ auf sich warten. Pérol hatte Bier und Sandwiches geholt. Mit Tomaten, Anchovis und Tunfisch. Das war nicht leicht zu essen, aber trotzdem besser als die ewigen, ekligen Schinken-Butter-Baguettes.
»Wir haben Mourrabeds Auss age aufgenommen, dann haben w ir ihn hergebracht«, fasste Pérol zusammen. »Heute Nachmittag kon - frontieren wir ihn mit dem T yp, den er vermöbelt hat. Wir w erden ihn vierundzwanzig Stunden festhalten. Vielleicht finden wi r ja etwas, um ihn wirklich festzunageln.«
»Und das Mädchen?«
»Sie ist auch hier. Wir haben ihre Familie benachrichtigt. Ihr großer Bruder holt sie ab. Er nimmt den Schnellzug um 13.30 Uhr. Pech für sie. Sie wird sich in Algerien wiederfinden, bevor sie bis drei zählen kann.«
»Du hättest sie abhauen lassen können.«
»Klar. Und in ein oder zwei Monaten hätten wir ihre Leiche aus irgendeinem Loch gefischt«, sagte Cerutti.
Das Leben dieser Kinder hatte kaum begonnen, schon saßen sie in der Falle. Andere entschieden für sie. Zwischen zwei Übeln. Wo war der bessere Weg? Cerutti beobachtete mich aus dem Augenwinkel. So viel Einsatz wegen Mourrabed erstaunte ihn. Seit er vor einem Jahr zu uns gekommen war, hatte er mich nie so erlebt. Mourrabed verdiente nicht das geringste Mideid. Er war immer zum Schlimms - ten bereit. Seine Augen sprachen für sich. Außerdem fühlte er sich von seinen Lieferanten beschützt. Ja, ich wollte ihn fallen sehen. Und ich wollte es hier und jetzt. Vielleicht, um mir zu beweisen, dass ich noch fähig war, eine Untersuchung zu Ende zu führen. Es würde mein Vertrauen in die Möglichkeiten stärken, auch Ugos Fall zu Ende zu bringen. Und, wer weiß, vielleicht Leilas.
Es war noch etwas anderes. Ich wollte wieder an meine Arbeit als Polizist glauben. Ich brauchte einen Halt. Regeln, Codes. Und ich musste sie aussprechen, um mich daran halten zu können. Jeder Schritt würde mich weiter vom Recht entfernen. Das war mir bewusst. Ich argumentierte schon nicht mehr wie ein Polizist. Weder in Ugos noch in Leilas Fall. Ich ließ mich von meiner verlorenen Jugend davontragen. Alle meine Träume spielten auf dieser Seite meines Lebens. Wenn ich noch eine Zukunft hatte, musste ich mich dorthin zurückwenden.
Ich war wie alle Männer, die auf die fünfzig zugehen. Ich fragte mich, ob das Leben meine Hoffnungen erfüllt hatte. Ich wollte mit »Ja« antworten, und mir blieb nicht viel Zeit. Wenn dieses »Ja« keine Lüge sein sollte. Ich hatte nicht die Möglichkeit, wie die meisten Männer, einer Frau, die ich nicht mehr begehrte, noch ein Kind zu machen, um diese Lüge zu verdrängen. Mich nach der allgemein üblichen Praxis selber an der Nase herumführen zu lassen. Ich war allein und musste der Wahrheit direkt ins Gesicht sehen. Kein Spiegel würde mir sagen, du bist ein guter Vater, ein guter Ehemann. Oder ein guter Polizist.
Das Zimmer schien sich aufgeheizt zu haben. Hinter den Rollos ahnte ich das noch immer drohende Unwetter. Die Luft wurde immer schwerer. Ich schloss die Augen. Vielleicht würde ich wieder einschlafen? Ugo lag auf dem anderen Bett. Wir hatten die Betten unter den Ventilator geschoben. Es war mitten am Nachmittag. Die kleinste Bewegung kostete uns literweise Schweiß. Er hatte ein kleines Zimmer an der Place Ménélik gemietet. Er war ohne Vor - warnung drei Wochen früher in Dschibuti angekommen. Ich hatte vierzehn Tage Urlaub genommen, und wir hatten uns nach Harar abgesetzt, um Rimbaud und die gefallenen Prinzessinnen Äthio - piens zu ehren.
»Na, Sergent Montale, was sagst du dazu?«
Dschibuti war ein offener Hafen. Es gab dort jede Menge Geschäf - te abzuwickeln. Man konnte Boote und Jachten zu einem Drittel ihres Werts kaufen. Man überführte eins bis nach Tunesien und verkaufte es zum doppelten Preis. Noch besser füllte man es mit Fotoapparaten, Kameras und Tonbändern und verscherbelte sie unter den Touristen.
»Ich
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