Marter: Thriller (German Edition)
hatte, um genau auszuarbeiten, wie man die NATO in einen grausamen neuen Konflikt hineinziehen konnte.
Am dringendsten benötigte sie Namen. Es war schon frustrierend genug, dass die Aufzeichnungen zerstört worden waren. Vor nicht allzu langer Zeit hätte sie noch jeden Verdacht abgetan, der Brand und der Prozess gegen Dragan Korovik könnten etwas miteinander zu tun haben. Jetzt allerdings kam sie nicht mehr umhin, sich zu fragen, ob wohl jemand in dem Moment, da man Korovik festgenommen hatte, Befehl gab, sämtliche Beweise, die seine Machenschaften mit den USA in Zusammenhang brachten, zu vernichten. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass diese »Säuberungsaktion«, wenn es denn so gewesen war, nur allzu gründlich verlaufen war. In dem Fall kamen sie und Gilroy gerade mal ein paar Wochen zu spät.
»Dürfte ich Ihnen wohl noch ein Glas ausgeben?«
Argwöhnisch blickte sie auf. Vor ihr stand ein junger Captain mit dem Abzeichen eines Stabsoffiziers am Revers. Zwar wirkte er relativ harmlos, trotzdem zögerte sie.
»Ich habe die Zeitverschiebung noch nicht überwunden und fliege morgen ohnehin schon wieder zurück«, fügte er hinzu. »Daher glaube ich nicht, dass ich heute Nacht recht viel Schlaf finde.« Er hielt ihr die Hand hin. »Tom Haslam.«
»Schön, Sie kennenzulernen, Tom. Ich wollte gerade gehen, aber …«
»Vielleicht doch noch ein Glas?«
Er wirkte ganz nett und ein wenig einsam, deshalb nickte sie. »Warum nicht.«
Er tippte mit der Kante seiner Kreditkarte auf den Bartresen, um den italienischen Barmann auf sich aufmerksam zu machen. » Due bicchieri di vino bianco, per favore.«
Sein Italienisch klang schrecklich, doch gefiel ihr die Tatsache, dass er es versucht hatte. Das kam hier eher selten vor.
»Zimmernummer?«, fragte der Barmann auf Englisch.
»Siebzehn.«
Der Barmann, dessen Name Christofero war, sah in seinem Computer nach. »Sie haben noch keine Bestellung offen. Ich benötige Ihren Ausweis oder Ihre Militär- ID , bitte.«
Haslam runzelte die Stirn und klopfte seine Taschen ab. »Den Ausweis habe ich auf meinem Zimmer vergessen.«
»Dann geht das eben auf mich«, bot Holly an.
»Nein, ich hol ihn schnell. Mein Gott, was die für Umstände machen, nur weil man einen Drink möchte«, grummelte er und wandte sich zur Tür. »Ist ja nicht so, als wüssten die hier nicht, wer ich bin – allein für das Zimmer musste ich denen meine ganze Lebensgeschichte erzählen.«
Sie hörte längst nicht mehr zu. Stattdessen starrte sie den Barmann an, da ihr plötzlich ein Gedanke gekommen war.
»Christofero, wann wurde das Ederle Inn erbaut?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ungefähr vor zwanzig Jahren, schätze ich. Ich bin seit zehn Jahren hier, und vor mir hat Massimo hier gearbeitet.«
»Nehmen Sie immer erst die Personalien auf, ehe Sie eine Bestellung auf ein Zimmer anschreiben?«
»Selbstverständlich. So läuft das hier.«
»Warum?«
Wieder zuckte er mit den Schultern. Sein Job war es, den Leuten Knabberzeug hinzustellen und Bier zu zapfen, nicht, die Militärbürokratie infrage zu stellen.
»Und könnten Sie die Barrechnungen nach Datum durchsuchen?«
»Schätze schon. Aber warum sollte ich das tun?«
Sie stand auf und umrundete den Tresen, um sich den Kassencomputer anzusehen. Er war uralt, wie die Computer, die man vereinzelt noch in Buchhandlungen oder bei Optikern sah. Wenn sie sich nicht täuschte, dann liefen die noch nicht mal mit Windows, sondern mit dem völlig veralteten DOS -System.
»Geben Sie doch bitte mal ein Datum für mich ein, ja?«, bat sie. Sie sah zu, wie seine Finger sich abwartend über die alten, verdreckten Tasten legten.
»Tippen Sie den 1. Juli 1993 ein«, forderte sie ihn auf.
Wenn eine Gruppe von Leuten im Sommer 1993 zu einem dreitägigen Treffen ins Camp Ederle gekommen war, dann hatten sie irgendeine Unterkunft benötigt. Das Ederle Inn Hotel war die einzige temporäre Unterkunft auf dem gesamten Areal. Und dank der strengen Militärbürokratie waren sämtliche Daten wie Namen und Adressen von jeder einzelnen Person, die damals hier übernachtet hatte, im System gespeichert.
Der alte Tintenstrahldrucker ratterte und klapperte, während er die Infos Zeile für Zeile aus den Tiefen des in die Jahre gekommenen Computerspeichers zutage förderte und ausspuckte.
Rasch entschuldigte sie sich bei Tom Haslam und ließ ihn mit einem schlechten Gewissen stehen, da sie das Gefühl hatte, er hätte eine bessere Behandlung verdient. Dann
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