Marter: Thriller (German Edition)
soeben ein Ordonnanzoffizier an den Mann im Anzug, der am Beobachtungsposten saß, und sagte ganz leise: »Sir, Mr. Gilroy bittet um eine Videokonferenz.«
»Stellen Sie ihn durch.«
»Guten Tag, Herr General«, sagte Gilroy höflich, als sein Gesicht auf dem Bildschirm erschien.
»Mr. Gilroy.« Der General legte eine leichte Betonung auf dieses »Mister«. Keiner der Männer im Überwachungsraum war noch beim Militär, doch trugen sie ihre ehemaligen Rangbezeichnungen mit sich herum wie unsichtbare Körperteile. Schlicht als »Mister« angesprochen zu werden bedeutete entweder, dass man Zivilist war oder ein Spion, und für keine der beiden Kategorien von Leuten hatte der General viel Zeit übrig. »Wie ist das Wetter in Venedig?«
»Oh, wir haben einen herrlich sonnigen Tag hier«, versicherte Gilroy ihm. »Gutes Flugwetter, genau genommen. Obwohl ich glaube, da ein paar Wolken am Horizont zu sehen.«
Der General warf einen Blick auf die Sensormonitore. »Ich auch, Mr. Gilroy. Ich auch.«
»Sie fragen sich vermutlich, weshalb Sie im Augenblick nur recht wenig sehen«, sagte Gilroy rundheraus.
»Wir scheinen unser Ziel aus den Augen verloren zu haben«, gab der General zu.
»Ich kann Ihnen sagen, wohin Ihre Zielpersonen wollen.«
Der General kniff die Augen zusammen. »Ich dachte, Sie wollten, dass sie in Sicherheit sind.«
»So ist es. Weil ich wollte, dass sie uns zu dem Mädchen führen. Aber sobald wir wissen, wo sie steckt …« Gilroy ließ den Satz unvollendet. »Aber bitte, keine lauten Knallgeräusche mehr. Haben Sie jemanden vor Ort, der aufräumen kann?«
»Unser Mann hat die Stadt nie verlassen. Wie zuverlässig sind Ihre Informationen?«
»Sie kommen von jemandem aus dem Umkreis der beiden Frauen. Er kooperiert mit mir.«
»Sie müssen sehr überzeugend sein, Mr. Gilroy.«
»Das ist mein Job«, erwiderte Gilroy ungerührt. »Ich bin der Ansicht, wenn man den Leuten einen guten Grund gibt, einem zu helfen, dann fügen sie sich in der Regel. Hat Ihr Mann ein Boot?«
»Er kann sich eins besorgen.«
»Sagen Sie ihm, er soll raus in die Lagune fahren. Sobald er draußen auf dem Wasser ist, erhält er weitere Anweisungen von mir.« Gilroy trennte die Verbindung, ohne auf ein weiteres Wort des Generals zu warten.
72
Weder Kat noch Holly sprachen viel, während sie über die Lagune rasten. Der kleine Außenborder protestierte mit einem durchdringenden Jaulen, da sie ihm ein derart hohes Tempo abverlangten. Eisiges Wasser peitschte ihnen ins Gesicht.
Endlich kam ihr Ziel in Sicht, sodass Holly langsamer wurde.
»Die Anlegestelle ist ziemlich morsch«, sagte Kat, als ihr dieses Detail wieder einfiel. »Wir können am Ufer anlegen.«
Sie stellten den Motor ab, und sofort war alles totenstill. Die Wellen schlugen leckend an den Kiel. Sie vertäuten das Boot und sprangen an Land.
»Die ehemalige Klinik liegt dort drüben.« Kat deutete in die entsprechende Richtung. »Dort zwischen den Bäumen.«
»Sieht ziemlich verfallen aus.«
»Wir versuchen es beim Turm. Der Fischer meinte doch, dort hätte er das Licht gesehen.«
Sie kämpften sich durch die geborstene Eingangstür des Krankenhauses. Die Behörden hatten sich immer noch nicht die Mühe gemacht, hierherzukommen und die Fenster mit Brettern zu vernageln. Nach wie vor lag Schutt auf dem Boden, an den Wänden prangten dieselben Graffitis.
»Melina!«, rief Kat. »Melina!«
Nach kurzem Zögern stimmte Holly mit ein, und die beiden schrien aus Leibeskräften.
Dann hielt Holly die Hand hoch, als Zeichen, dass Kat ruhig sein sollte. »Ich glaube, ich habe was gehört.«
Sie lauschten in die Stille. Eine Fledermaus segelte im Zickzackkurs an ihren Köpfen vorüber und überschlug sich beinahe bei dem wilden Versuch, an ihnen vorbeizukommen und zur Tür zu gelangen.
»Melina!«, schrie Kat erneut.
Und dann hörten sie Schritte die Treppe herunterkommen, und vor ihnen stand eine dunkelhaarige junge Frau.
73
»Melina Kova č evi ć ?«, fragte Kat in sanftem Ton.
Die junge Frau nickte.
»Ich bin eine Beamtin der Carabinieri, und das hier ist eine Freundin von mir. Wir sind gekommen, um dich an einen sicheren Ort zu bringen.« Furcht blitzte in den Augen des Mädchens auf, woraufhin Kat hastig hinzufügte: »Mach dir keine Sorgen. Von jetzt an wird die ganze Zeit eine von uns bei dir sein. Wir wissen, dass du in Gefahr warst. Bist du schon die ganze Zeit hier?«
»Jelena mich hierherbringen«, sagte das Mädchen in gebrochenem
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