Marter: Thriller (German Edition)
Holly höflich: »Sie haben vermutlich erwartet, Second Lieutenant Nathans hier anzutreffen, Ma’am, doch leider steht sie nicht zur Verfügung. Ich bin Second Lieutenant Boland. Wie kann ich Ihnen helfen?«
Barbara Holton fixierte sie mit ihren stahlgrauen Augen. »Hat Nathans Ihnen mitgeteilt, worum es geht?« Ihr Akzent stammte eindeutig von der amerikanischen Ostküste. Doch war da auch eine Spur von etwas anderem. Deutsch? Österreichisch?
Holly schüttelte den Kopf. »Nein, Ma’am.«
»Oder dass ich ihr acht Wochen lang auf die Nerven fallen musste, um diesen Termin mit ihr zu bekommen?«
»Nein, Ma’am.«
»Tja nun«, meinte Barbara Holton sichtlich verärgert. »Machen wir weiter.« Sie holte einen gelben Ordner aus ihrem Aktenkoffer und zog ein paar Unterlagen daraus hervor. »Ich habe hier einen Antrag im Zuge des Freedom-of-Information-Act. Und das hier ist eine eidesstattliche Erklärung eines Anwalts. Darin steht, dass ich als amerikanische Staatsbürgerin, die mit einem anerkannten Medienunternehmen nach Definition des Open-Government-Amendment von 2007 in Verbindung steht, berechtigt bin, einen solchen Antrag zu stellen, und erwarten darf, dass Sie darauf innerhalb eines angemessenen Zeitraums reagieren.« Sie schob eine Visitenkarte und ein Schreiben über den Tisch.
Holly nahm beides zur Hand und las alles aufmerksam durch. Aus dem Brief des Anwalts ging hervor, dass es sich bei Barbara Holton um die Chefredakteurin von Women Under War handelte, einem Onlinemagazin, so verriet ihr die auf .com endende Adresse.
Ihr wurde ganz anders. Zweifelsohne ging es hier nicht einfach nur um eine weitere Petition. Höchst unwahrscheinlich, dass sie mit dieser Sache allein klarkam. Andererseits hatte sie aber auch keine Lust, loszustürmen und Mike aus seinem Briefing zu reißen, es sei denn, es war absolut unumgänglich.
»Schön«, sagte sie, um Zeit zu gewinnen. »Und worum geht es in diesem Antrag?«
Barbara Holton holte ein weiteres Dokument aus ihrem Ordner. »Mein Interesse gilt dem Zeitraum zwischen 1993 und 1995 …«
»Ma’am, ich bezweifle, dass irgendjemand hier …«
»Ich rede selbstverständlich von den Archiven«, fuhr Barbara Holton unbeirrt fort, als hätte Holly keinen Ton gesagt. »Es geht also um administrative Dokumente nach Kapitel 5, Gesetz Nummer 241.«
»Selbst wenn es diese Dokumente gibt, unterliegen sie möglicherweise der Geheimhaltung.«
»Second Lieutenant, Sie verfügen über beinahe zwei Meilen Dokumentenarchive hier in den unterirdischen Tunneln sowie in Aviano. Neben den achtundvierzig Nuklearsprengköpfen, versteht sich. Ich bezweifle daher doch sehr, dass auch nur ein Zehntel davon Verschlusssache ist.«
Holly seufzte. »Dürfte ich Ihren Antrag denn mal sehen?«
Barbara Holton schob ihr die Unterlagen über den Tisch zu, wobei sich die Blätter auf dem polierten Holz statisch aufluden und flatterten. Holly schälte sie von der Tischplatte und las:
Als anerkannte Vertreterin der amerikanischen Medien beantrage ich hiermit Folgendes:
1. Einsicht in jegliche im Camp Ederle gelagerten Unterlagen, die im Zusammenhang stehen mit Besuchen von General Dragan Korovik, Kommandant der kroatischen Milizen, und zwar zu Ausbildungszwecken und zum Informationsaustausch in den Jahren 1993 bis 1995.
2. Die Aushändigung sämtlicher Unterlagen und Protokolle zu Meetings im Camp Ederle zwischen General Dragan Korovik und dem US-Geheimdienst in den Jahren 1993 bis 1995.
3. Die Aushändigung sämtlicher Fotografien, unter anderem auch, aber nicht ausschließlich geheime Luftaufnahmen, die man General Dragan Korovik im Jahr 1995 vor der Operation Sturm überlassen hat.
4. Jegliche Notizen oder Korrespondenz die Grausamkeiten gegen Zivilisten im ehemaligen Jugoslawien betreffend.
5. Jegliche Notizen, Dokumente oder andere schriftliche Zeugnisse, in denen es um den Einsatz von systematischen Vergewaltigungen von Frauen als Kriegswaffe geht.
6. Sämtliche zwischen Februar und Mai 1995 verfassten Protokolle, die den Beschluss der italienischen Regierung zum Thema haben, die Ausweitung der US-Militärbasis Camp Ederle zu genehmigen.
Holly las das Schreiben gleich zwei Mal durch. Nur wenige der Punkte sagten ihr irgendwas. Operation Sturm – sie erinnerte sich vage daran, das war noch zu Zeiten ihres Vaters gewesen. Soweit sie sich erinnerte, war das Land, das man damals noch als Jugoslawien kannte, in einen grausamen Bürgerkrieg verfallen, der erst endete, als die NATO
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