Marter: Thriller (German Edition)
dass Sie das tun werden.« Sie erhob sich und ließ den gelben Ordner auf dem Tisch liegen. »Fünfzehn Tage«, sagte sie und deutete mit einem Kopfnicken darauf. »Obwohl ich es selbstverständlich sehr schätzen würde, wenn es schneller ginge. So sonderbar das Ganze auch scheinen mag, es ist von höchster Wichtigkeit, dass ich diese Unterlagen bekomme. Wenn Sie irgendetwas von mir benötigen, meine Handynummer finden Sie auf meiner Visitenkarte.« Sie hielt Holly die Hand hin, während sie sie unbewegt und abschätzig musterte. »War mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Second Lieutenant.«
»Mike«, sagte Holly, als ihr Teamleader aus dem Briefing zurückkehrte. »Wie sieht die übliche Vorgehensweise bei Anfragen im Zuge des Freedom-of-Information-Act aus?«
Breedon zuckte mit den Schultern. »Man wartet vierzehn Tage, dann schickt man ein höfliches Schreiben raus, dass die gewünschten Informationen nicht gefunden werden konnten. Oder man bittet den Antragsteller, einem die Aktennummer des Dokuments zu nennen, wenn man möchte, dass er richtig sauer wird. Worum geht es denn?«
»Hat was mit einem kroatischen General namens Dragan Korovik zu tun.«
»Operation Sturm?«
»Ganz genau. Sie erinnern sich daran?«
»Negativ – das war weit vor meiner Zeit. Aber ich habe davon gelesen. Um ehrlich zu sein, das ist einer der wenigen Kriege, für den sich kein Mensch mehr interessiert. Die Kroaten waren ganz offensichtlich die Guten – die Serben waren diejenigen, die ethnische Säuberungen durchführten, Sarajevo bombardierten, versucht haben, Bosnien zu annektieren, und der ganze Mist, trotz des UN -Waffenembargos. Letzten Endes überlebten sowohl Bosnien als auch Kroatien, und drei neue Demokratien entstanden. Geopolitisch betrachtet ist das doch ein recht seltener Fall eines Happy Ends.«
»Sie sagte etwas von grausamen Gewalttaten.«
»Ja, nun. Sie wissen doch, wie das so läuft: Da redet einer von Gewalttaten, aber in Wahrheit waren es doch nur unglückliche Kollateralschäden.«
Während er sprach, loggte sie sich bei Intellipedia ein, dem Wikipedia-Äquivalent der Geheimdienste. Als eine von schätzungsweise einer Million Geheimdienstmitarbeitern weltweit, denen es erlaubt ist, das globale Intelink-Netzwerk zu benutzen, hatte sie Zugriff auf vertrauliche Informationen zu Hunderttausenden von Themen, und das binnen wenigen Sekunden. »Women Under War scheint eine seriöse Organisation zu sein«, sagte sie nachdenklich, während sie durch die Seiten scrollte. »Hier steht, dass sie sich des Öfteren vor dem ICTY geäußert hat.«
»Und das wäre?«
»Der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien. Ein Teil des Internationalen Gerichtshofs der UN in Den Haag.« Sie tippte einen weiteren Suchbegriff ein. » Das ist ja interessant.«
»Was denn?«
»General Dragan Korovik sitzt derzeit am ICTY in Untersuchungshaft und wartet auf sein Verfahren wegen Kriegsverbrechen, die er im Jahr 1995 begangen haben soll. Er ist erst letztes Jahr von den kroatischen Behörden ausgeliefert worden. Vor einigen Wochen erklärte sein Anwalt, er würde die Aussage machen, alles, was er getan habe, sei von der US -Regierung sanktioniert gewesen.«
»Was natürlich nicht der Fall war«, meinte Mike Breedon nachdenklich. »Sonst hätten wir ja gegen diese UN -Resolution verstoßen.«
Sie überflog den Rest der Intellipedia-Seite. Dragan Korovik war zu Beginn des Krieges zu einiger Bekanntheit gelangt, als er das Kommando über die noch unerfahrene kroatische Armee übernahm. Nachdem er zunächst die Verteidigung gegen die zahlenmäßig überlegenen serbischen Streitkräfte geleitet hatte, führte er eine Reihe von, wie Intellipedia das nannte, brillant inszenierten Gegenschlägen aus und entriss einen großen Teil des westlichen Bosniens der serbischen Kontrolle, allem voran das schwer umkämpfte Gebiet Krajina. Die Verluste unter den Zivilisten waren allerdings erheblich, weshalb Korovik nach dem Krieg gezwungen war unterzutauchen – obwohl das Gerücht ging, so Intellipedia, dass er in Wahrheit völlig unbehelligt unter der Protektion der neuen Staatsregierung leben konnte. Erst als seine Gefangennahme eine Dekade später zu einer Grundbedingung für den Beitritt Kroatiens zur Europäischen Union erhoben wurde, »entdeckte« man ihn und nahm ihn fest.
»Klingt mir nach einem ganzen Haufen Problemen«, meinte Mike, während er über ihre Schulter gebeugt mitlas. »Was wollen Sie
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