Marter: Thriller (German Edition)
wäre, der schnell mal in Schwierigkeiten geriet. Dazu war ihr Geist viel zu sehr vom Militärischen durchdrungen, als dass sie je über die Stränge geschlagen hätte.
Nie im Leben hätte sie erwartet, dass sie in die Fußstapfen ihres Vaters treten und ebenfalls zum Militär gehen würde, insbesondere nach den harten und bitteren Jahren seiner Krankheit. Aber als sie in die Staaten zurückkehrte, um aufs College zu gehen, fand sie sich selbst in einer Welt, die sie nicht wiedererkannte. Die Leute in ihrem Alter kleideten sich ganz anders als sie selbst – die vom Style der Gangs beeinflusste Mode der Collegekids ließ ihre italienischen Freunde einfach nur staunen. Außerdem dachten sie ganz anders als sie, und auch wenn sie noch so locker rüberkamen mit ihrem Kumpelgehabe, waren sie doch weit zynischer und materialistischer eingestellt als sie. Ihre Mitbewohnerinnen konnten einfach nicht verstehen, weshalb sie jeden Morgen vor dem Frühstück ihr Zimmer aufräumte, warum sie immer von zweiundzwanzig Uhr statt von zehn Uhr abends sprach oder das Badezimmer als Latrine bezeichnete. Holly musste feststellen, dass sie in der Welt der Zivilisten mittlerweile eine Außenseiterin war, ganz wie ihr Vater.
Als die Zeit kam, da sie sich für einen Beruf entscheiden sollte, wurde ihr klar, dass sie sich, wenn sie schon ein Außenseiter war, der weder voll zum Militär noch ganz nach Italien gehörte, genauso gut für eins von beidem entscheiden konnte. Sie wechselte also das Fach und studierte nun Politik- und Militärwissenschaft, nutzte aber auch weiterhin ihr Talent für Fremdsprachen. Am Ausbildungscollege für Offiziere fand sie dann einen Mentor, der genug Weitblick besaß und sie überredete, Mandarin statt des üblicheren Arabisch oder Farsi zu erlernen. Da sie keine Kämpfernatur war, tat sie sich im theoretischen Unterricht immer leichter als auf dem Feld: Ihre Fähigkeiten lagen vor allem in den Bereichen Abhörtechniken, Analyse- und Geheimdienstmethoden. Doch als jüngst ausgebildeter Second Lieutenant, der unterste Rang auf der Offiziersleiter, erwartete man nicht allzu viel von der ersten Entsendung. Sie hatte sich nur auf gut Glück für den Posten in Italien beworben. Später berichtete ihr ihr Mentor, dass jemand in der Personalabteilung des Pentagons ihren Namen auf der Liste entdeckt und ihn angerufen habe, um sich zu erkundigen, ob sie denn tatsächlich Ted Bolands Tochter sei.
Ganz unerwartet piepte ihr Computer und riss sie aus ihren Gedanken. Sie suchte nach der Ursache für das Geräusch und stellte fest, dass das Piepen sie an einen Termin erinnern sollte.
ERINNERUNG: 12:00 – 12:30 Barbara Holton. ORT: LNO-3.
In dem Plan, den Mike Breedon ihr ausgehändigt hatte, war nichts dergleichen vermerkt. Offenbar handelte es sich hier um Nathans’ persönlichen elektronischen Kalender, der auf dem Computer immer noch aktiviert war.
»Mike, wer ist Barbara Holton?«, rief sie ihrem Chef quer durch den Raum zu. Er war gerade dabei, eine PowerPoint-Präsentation vorzubereiten.
»Keinen Schimmer.«
»Wer auch immer sie ist, Nathans hatte einen Termin mit ihr.«
Breedon fluchte leise. »Sie muss vergessen haben, es mir zu sagen. Ich kann das wegen des Briefings unmöglich übernehmen.«
»Soll ich für Sie einspringen?«
»Würden Sie das tun? Es handelt sich vermutlich ohnehin wieder mal nur um eine Demonstrantin, die irgendeine Petition einreichen will. Wenn wir den Termin jetzt absagen, dann müssen wir uns bloß wieder anhören, wir würden die Leute an der Nase herumführen.«
»Roger.«
»Gehen Sie einfach in eines der Zimmer gegenüber. Ich stoße später dazu, wenn ich es schaffe.«
Der Konferenzraum, der so anonym und kahl wirkte wie jeder andere Konferenzraum auf der Welt, roch nach alter Lüftungsanlage und nach nicht mehr ganz so frischen Keksen. Holly organisierte in aller Eile ein paar Flaschen Wasser und einen Notizblock, ehe sie zwei Stühle an den Tisch heranschob. Während sie damit beschäftigt war, rief der Pförtner an, um ihr mitzuteilen, man würde Barbara Holton zu ihr eskortieren.
Die Frau, die wenige Minuten später ins Zimmer geführt wurde, war um die fünfzig und hatte kurzes, bereits ergrautes Haar. Sie war elegant, aber konservativ gekleidet und trug als einzigen Schmuck eine riesige Plastikkette um den Hals. Sie sah eher nach erfolgreicher Geschäftsfrau oder Collegeprofessorin aus und nicht wie eine Demonstrantin, dachte Holly.
Als sie sich setzten, sagte
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